Inhaltsangabe
Zwischen Holz, Herzklopfen und Geheimnissen …
Olivia Harper beendet das Kapitel ihres Lebens in Vancouver, als sie ihren Verlobten in flagranti beim Fremdgehen erwischt. Ihr Herz ist gebrochen, und um zu entkommen, zieht sie sich nach Crystal Lake zurück, um bei ihrer besten Freundin Diana und deren kleinen Bäckerei zur Ruhe zu kommen. Um Diana beim Traum eines Büchercafés zu unterstützen, beginnt sie damit, das leerstehende Gebäude neben der Bäckerei zu entrümpeln. Schnell spürt sie, dass Crystal Lake mehr für sie wird als nur ein Rückzugsort.
Dann tritt Joshua Anderson in ihr Leben. Der mürrische, wortkarge Zimmermann der Stadt sorgt für ein Aufeinandertreffen, das Olivia so schnell nicht vergessen wird. Als er sie beinahe mit seinem Auto überfährt und sie ihm dann auch noch für seine Holzkunst Modell stehen soll, ist Olivia alles andere als begeistert. Trotz ihrer Wut auf Joshua ist da etwas, das sie nicht leugnen kann – die Funken, die zwischen ihnen sprühen.
Joshua ist der letzte Mann, den sie in ihrer Nähe haben will – schließlich hat sie genug von Männern, die ihr Herz nur verletzen. Doch Joshua ist anders, er ist tiefgründig, überraschend einfühlsam und schafft es, sie mit seiner rohen, unverfälschten Leidenschaft aus der Reserve zu locken. In der abgeschiedenen Werkstatt, umgeben von Holz und der flimmernden Glut des Feuers, fällt außer den Masken auch noch die Bekleidung, und sie kommen sich näher.
Während ihre Anziehung immer intensiver wird, steht Olivia vor einer Zerreißprobe: Ihr überfürsorglicher Zwillingsbruder Elias taucht unangekündigt auf, während ihr besessener Ex-Verlobter sie auf Schritt und Tritt verfolgt. Inmitten dieses Chaos muss Olivia herausfinden, wer sie wirklich ist und was sie sich von der Liebe erwartet. Wird sie den Mut finden, auf ihr Herz zu hören – und sich für die Liebe zu Joshua und zu Crystal Lake zu entscheiden, die sie längst spürt? Oder wird sie von der Vergangenheit eingeholt, bevor sie die Freiheit findet, die sie sich immer erträumt hat?
Teil 2 der verführerischen Smalltown Romance-Reihe von Mina Miller – eine Geschichte über Liebe, Leidenschaft und das Finden des eigenen Weges.
Leseprobe
Olivia
Der Gang mit den Farbeimern schien endlos. Zu beiden Seiten ragten Regale gefüllt mit leuchtend bunten Farbdosen in die Höhe. Olivia setzte ihren Weg fort und blieb vor den Grüntönen stehen. Ihr Blick glitt über den Werbeslogan eines imposanten Pappaufstellers:
„Bringen Sie Farbe ins Spiel – mit unserer Wandfarbe, die jede Wand zum Strahlen bringt!“
Sie seufzte, als sie den Preis entdeckte: Für einen Zwei-Liter-Eimer wurden hier 100 kanadische Dollar verlangt. Kurz überschlug sie in Gedanken, wie viel Geld ihr zur Verfügung stand, und griff zu zwei Eimern aus dem mittelpreisigen Sortiment. Ihre Internetrecherche hatte ergeben, dass Grüntöne hervorragend mit dem Braunton von Holz harmonieren. Eilig legte sie noch ein Set Pinsel in verschiedenen Größen sowie Bodenschutzfolie in den Einkaufswagen. Farbrollen und Malerfolie hatte sie bereits hineingelegt. An der Kasse bezahlte sie ihre Einkäufe, die neugierigen Blicke der Verkäuferin ignorierend. In Crystal Lake kam es nicht oft vor, dass eine fremde Person den Handwerkermarkt betrat. Mit dem Wagen verließ sie den Laden. Für sie war Crystal Lake immer ein kleines Kaff gewesen – höchstens für Lost-Place-Abenteurer von Interesse. Dennoch musste sie zugeben, dass die raue Natur und die friedliche Atmosphäre des Ortes etwas Erholsames besaß.
Kaum hatte sie den Parkplatz betreten, bog ein Fahrzeug um die Hausecke und raste in rasantem Tempo auf sie zu. Um nicht überfahren zu werden, zog sie kräftig am Wagen. Plötzlich blieb eines der Vorderräder in einem Bodenloch hängen, und der Einkaufswagen kippte zur Seite. Verzweifelt streckte Olivia die Arme aus, um den Fall zu verhindern, doch ihre Einkäufe fielen heraus und verteilten sich auf dem Asphalt. Im selben Moment bremste das Auto scharf vor ihr ab.
Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Sie hielt den Atem an und blickte fluchend auf das Chaos aus Pinseln, Farbrollen und Malerfolie, das sich vor ihr ausgebreitet hatte. Glücklicherweise hatte die Malerfolie den Aufprall der Farbeimer gedämpft. Nicht auszudenken, wenn sich die grüne Farbe über den Asphalt verteilt hätte.
Als sie sich bückte, um den Wagen wieder aufzurichten, öffnete sich plötzlich eine Autotür. Schritte näherten sich. Eine fremde Männerstimme sprach: „Lassen Sie mich helfen.“
Zwei kräftige Hände griffen den Wagen und stellten ihn wieder aufrecht hin.
Olivia musterte den Mann. Er war einen Kopf größer als sie, seine dunkelblonden Haare waren an den Seiten kurz geschnitten und sein zurückgekämmter Pony unterstrich sein markantes Gesicht. Ihr Blick glitt von seinem gepflegten Bart zu den braunen Augen, die sie ungeniert musterten. Mit entschlossener Haltung stemmte sie die Hände in die Hüften und versuchte, sich in ihren Sandalen aufzurichten. Sie kannte den Mann nicht, auch nicht von ihrem letzten Besuch in Crystal Lake, und nahm deshalb an, dass es sich um einen Touristen handelte. In einer Stadt mit wenigen Einwohnern wäre ihr ein fast wikingerhaft anmutender Mann wie er sofort aufgefallen. Sein Hemd betonte seine muskulösen Oberarme. Gedanklich rollte sie die Augen. Was zum Teufel tat sie da? Der überaus gut aussehende Kerl hätte sie beinahe überfahren. Mit erhobenem Kinn fragte sie scharf: „Sind Sie auf der Flucht vor dem Gesetz?“
Der Mann zog eine Augenbraue hoch. „Wie bitte?“, fragte er.
Ungeduldig verschränkte Olivia die Arme vor der Brust.
„Ich will wissen, warum Sie wie ein Irrer über den Parkplatz rasen, als wäre dies ein Highway. Es hat nicht viel gefehlt und Sie hätten mich überfahren.“ Dabei deutete sie mit ausgestrecktem Finger auf die verstreuten Einkäufe. „Sie können sich glücklich schätzen, wenn ich Sie nicht beim Sheriff anzeige.“
Der Mann vor ihr wagte es doch tatsächlich, zu schmunzeln. In Olivias Magen begann es, zu brodeln. „Was ist daran bitte lustig?“, zischte sie.
„Ich finde, Sie übertreiben. Zugegeben, ich war etwas zu schnell unterwegs, aber wer hätte voraussehen können, dass Sie mitten auf dem Parkplatz vor mein Auto fallen?“
Hitze stieg in ihrem Nacken auf und zog sich zu ihren Wangen hinauf. Den Mann ignorierend, bückte sie sich, um einen der Farbeimer aufzuheben. In dem Moment löste sich der Deckel, und grüne Farbe spritzte auf ihre Hände, Schuhe und Hose. Einen Augenblick lang starrte sie auf den beschädigten Eimer, aus dem die Farbe langsam zu Boden tropfte.
„Ein Händchen für Farben haben Sie – Grün steht Ihnen“, spottete der Fremde.
Seufzend wischte sich Olivia die Hände an ihrer Jeans ab, die sie nun nur noch zum Streichen tragen würde. Sie sammelte die restlichen Einkäufe ein und atmete erleichtert auf, denn der zweite Farbeimer war unversehrt geblieben. Dann schob sie den Wagen weiter.
„Und wer räumt jetzt das Chaos auf?“, rief der Fremde.
Olivia drehte sich um und schenkte ihm ein breites Lächeln. „Das überlasse ich Ihnen. Schließlich haben Sie es verursacht.“
Sie steuerte auf den blauen Pick-up in der Parkplatzmitte zu.
„Passen Sie in Zukunft besser auf, vor welches Auto Sie fallen. Nicht jeder bremst rechtzeitig wie ich“, konterte der Mann.
Olivia blieb stehen, drehte sich nicht um und streckte ihm demonstrativ den Mittelfinger entgegen. Mit seinem Lachen in den Ohren erreichte sie den Wagen, lud die Einkäufe auf die Ladefläche und ließ den Einkaufswagen einfach stehen – sie wollte nur weg von diesem Ort.
Schnell stieg sie in ihr Auto, startete den Motor und fuhr los, ohne einen Blick zurück zu werfen.
Olivia passierte den neu eröffneten Angelladen und ein Souvenirgeschäft, dessen Postkartenständer und bunte Magnete Touristen anlocken sollten. Bereits vor einer Woche war ihr das geschäftige Treiben in Crystal Lake aufgefallen, als ihre Freundin Diana sie aus Clearwater abgeholt hatte. Während die Stadt vor drei Jahren noch in einem Dornröschenschlaf gelegen hatte, schien sie heute wieder aufzublühen, denn sie hatte schon einige Menschen mit Rucksäcken durch die Straßen eilen sehen.
Das einzige Hotel der Stadt, das ihr ins Auge fiel, war – anders als bei ihrem ersten Besuch – von Gerüsten und Planen umhüllt. Diana hatte ihr erklärt, dass eine Hotelkette auf Crystal Lake aufmerksam geworden war und das alte Hotel erworben hatte. Als Olivia nach Dianas Meinung zu der Übernahme des Hotels fragte, zeigte sich ihre Freundin zwiegespalten: Durch den Verkauf würde Geld in die Stadtkasse fließen, sodass man sich nun auch um den veralteten Campingplatz vor den Wäldern kümmern konnte.
Bald bog Olivia am Hotel in eine Seitenstraße ein und hielt neben der einzigen Bäckerei der Stadt. Sie stieg aus und betrat das kleine, dunkelblau gestrichene Geschäft. Eine ältere Dame mit einer braunen Einkaufstüte kam ihr entgegen und verließ die Bäckerei. Doch Olivia schenkte ihr kaum Beachtung, als sie sich mit wenigen Schritten dem schmalen Tresen näherte.
Hinter der Kasse drehte sich Diana zu ihr um. Beim Anblick von Olivia riss sie ihre Augen auf, als ihr Blick den Pullover hinabglitt, auf dem sich grüne Farbspritzer häuften. Das gesamte Desaster, inklusive Olivias Schuhen und Hosenansatz, blieb ihr hinter dem Tresen verborgen.
„Hast du schon mit dem Streichen begonnen und ich habe nichts davon mitbekommen?“, fragte Diana.
Olivia strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, senkte dann den Blick auf die getrocknete Farbe und seufzte: „Schön wäre es gewesen. Ich kam gerade mit den Einkäufen aus dem Laden, als mich so ein Blödmann fast über den Haufen gefahren hätte. Der Einkaufswagen kippte um, und als ich alles wieder einsammeln wollte, ist ein Farbeimer … na ja, du siehst das Ergebnis.“
Diana umrundete den Tresen, der links in den Verkaufsraum führte, und musterte den Rest von Olivias Farbunfall. „Was für ein Arsch war das denn?“, empörte sie sich.
Olivia zuckte mit den Schultern. „Ich habe nicht nach seinem Namen gefragt. Er hat sich entschuldigt, und ich hatte keine Lust, in den Klatsch und Tratsch von Crystal Lake hineingezogen zu werden.“
Diana verzog fast unmerklich den Mund zu einem schiefen Grinsen.
„Das ist nicht lustig“, bemerkte Olivia.
Diana verschwand wieder hinter dem Tresen und kehrte, eine Hand hinter dem Rücken, zu ihr zurück. „Schließ deine Augen und sag ‚Ahhh‘!“
Olivia folgte der Anweisung, öffnete den Mund und spürte, wie etwas Weiches ihre Lippen berührte. Als sie hineinbiss, breitete sich ein Geschmack von Zimt und Zitrone auf ihrer Zunge aus.
„Wie schmeckt dir mein neues Produkt?“, fragte Diana. „Eine Mischung aus Zimtschnecke und Zitronenkuchen“,
Olivia öffnete die Augen und nahm das kleine gebackene Teilchen aus Dianas Hand. „Um mich dazu äußern zu können, muss ich es erst aufessen“, antwortete sie.
Diana strahlte bis über beide Ohren, während Olivia genüsslich in das Gebäck biss.
„Sehr lecker – aber jetzt bring ich mal die restlichen Einkäufe rüber, oder was davon noch übrig ist“, sagte sie.
Diana umarmte sie herzlich.
„Wow, wofür ist das denn?“, fragte Olivia überrascht.
Diana lachte. „Ich bin so froh, dass du hier bist, Liv.“
„Ich bin auch froh, dass ich bei dir unterkommen durfte.“
„Ich habe dich gerne in meiner Nähe. Bleib, so lange du möchtest“, fügte Diana strahlend hinzu.
„Sag das nicht zu oft, sonst falle ich täglich über deine köstlichen Schöpfungen her und nehme zehn Kilo zu“, konterte Olivia lachend, winkte Diana zu und verließ den Laden. Kaum war sie wieder draußen, trat ein älterer Herr in die Bäckerei und musterte Olivia besorgt. „Alles in Ordnung bei Ihnen?“
Sie winkte ihm im Vorbeigehen zu. „Kein Problem, ich bin nur am Streichen“, sagte sie.
Olivia trat zum Pick-up, holte die Streichutensilien und die zwei Farbeimer heraus und steuerte auf das Gebäude neben der Bäckerei zu. An einigen Stellen zeigte sich die marode Holzfassade, an der die Farbe längst abgeblättert war.
Mit dem Schlüssel, den Diana ihr gegeben hatte, schloss sie die Vordertür auf und betrat das Haus. Ein muffiger Geruch von altem Holz und abgestandener Luft schlug ihr entgegen. Seufzend stellte sie ihre Materialien ab, fuhr mit der Hand die Wand entlang und tastete nach dem Lichtschalter. Kaltes Licht ergoss sich unter den Deckenbalken. Olivia näherte sich einem der Fenster und wich dabei den bereits in der Raummitte zusammengeschobenen, kaputten Möbeln aus. Als sie das Fenster öffnete, drang helles Tageslicht in das düstere Innere des Hauses.
Olivias Blick wanderte durch den Raum, den sie bereits vor ein paar Tagen inspiziert hatte, und in Gedanken malte sie sich den zukünftigen Gastraum des Büchercafés aus: Tische, Stühle, Bücherschränke, dazu eine gemütliche Leseecke mit Sofa, Kissen und Decken, denn wie Diana ihr einst erzählt hatte, wurde es in Crystal Lake im Winter bitterkalt.
Ihr Blick schweifte zur schmalen Holztreppe, die in ein Obergeschoss führte, in dem weitere alte Möbel und stickige Luft auf sie warteten. Langsam überkam sie das Gefühl, sich zu viel vorgenommen zu haben. Doch allein der Gedanke an Dianas strahlendes Gesicht, als Olivia vor zwei Tagen verkündet hatte, das Gebäude zu renovieren, schenkte ihr neue Energie. Immerhin wollte sie ihrer Freundin dafür danken, dass sie sie spontan aufgenommen hatte und sie zugleich alle Gedanken daran, warum sie Vancouver so übereilt verlassen hatte, vergessen ließ.
Olivia krempelte ihre Ärmel hoch und stemmte die Arme in die Hüften. Das zukünftige Büchercafé wartete nur darauf, zum Leben erweckt zu werden.
Zwei Stunden später musterte Olivia ihr Werk. Den Großteil der Möbel hatte sie bereits nach draußen getragen, nur ein alter Tisch und zwei Schränke, die jeden Moment zusammenzubrechen drohten, waren zurückgeblieben. Olivia zog ihren Pullover aus, band ihn um ihre Hüften und stand schwitzend in ihrem roten Top sowie der grün besprenkelten Hose da und ärgerte sich insgeheim, dass sie nicht mehr Muskeln besaß.
„Liv? Schau mal, wen ich zufällig getroffen habe – unseren stadtbekannten Zimmermann Joshua. Der wird dir bestimmt weiterhelfen können“, rief Diana von der offenen Haustür, trat ein und überreichte Olivia eine Flasche Wasser.
Olivia bedankte sich, öffnete die Flasche und trank in großen Schlucken. Sie war so in die Arbeit vertieft gewesen, dass sie ganz vergessen hatte, sich etwas Proviant zu besorgen.
„Sind gerade keine Kunden in der Bäckerei?“, fragte sie und sah ihre Freundin an.
„Der Ansturm ist vorüber und eine Viertelstunde kann ich den Laden schließen. Schließlich ist es wichtiger, dass du unseren Zimmermann kennenlernst“, zwinkerte Diana ihr zu.
Plötzlich hörte Olivia Schritte. Als sie den Mann sah, der hereinkam, verschluckte sie sich, ihre Lunge brannte und sie musste husten.
Diana klopfte ihr besorgt auf den Rücken. „Alles okay?“, fragte sie.
Olivia nickte, holte tief Luft und musterte den Mann. Dieser zog eine Augenbraue hoch und lächelte.
„Sie sind Zimmermann?“, fragte Olivia und dachte fieberhaft darüber nach, wie viel Pech einem an einem Tag passieren konnte, denn bei dem Mann handelte es sich um denselben Mistkerl, der sie heute beinahe überfahren hätte.
„Ja, da liegen Sie richtig“, erwiderte er. „Ich bin der einzige Zimmermann in Crystal Lake und habe momentan viele Aufträge. Also, was soll das hier?“, fragte er und richtete seinen Blick auf Diana.
Doch bevor diese etwas sagen konnte, platzte Olivia heraus: „Das geht Sie nichts an. Wir benötigen lediglich Hilfe bei der Außenfassade und dem Dach.“
Der Mann drehte sich um, und Olivia reichte Diana die halb leere Flasche. Ihre Freundin formte mit den Lippen ein lautloses „Was ist los?“. Doch sie ignorierte ihre Freundin, ging auf den Zimmermann zu und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Das Gebäude braucht weit mehr als ein paar Reparaturen. Es stand jahrelang leer. Egal, was Sie hier planen, eine Renovierung ist unvermeidlich, und ein bisschen Farbe an den Wänden reicht da nicht aus.“ Dabei grinste er und ließ seinen Blick kurz über ihre Brüste schweifen, die sich unter ihrem Top abzeichneten.
Hitze sammelte sich in Olivias Nacken, als sie daran dachte, dass sie darunter keinen BH trug. Sie räusperte sich, ihr Hals rau vom Husten. „Wie war noch gleich Ihr Name? Oder soll ich Sie weiterhin Mistkerl nennen?“, fragte sie.
Vielleicht würde sie anders auf seine Blicke reagieren, wenn sie sich unter anderen Umständen kennengelernt hätten, aber der Beinahe-Unfall und seine unverschämte Art waren ihr zu frisch in Erinnerung.
Joshua
„Nennen Sie mich Joshua. Und Sie sind Liv?“, fragte er.
Die Frau hob ihr spitzes Kinn und verengte die Augen. „Olivia. Nur Freunde nennen mich Liv“, entgegnete sie kühl.
Wow, das war eindeutig. Sie konnte ihn nicht leiden. Nach dem Ereignis auf dem Parkplatz konnte er ihr das auch nicht übel nehmen.
Als er bei Diana ein Stück seines Lieblingsapfelkuchens erworben hatte und von ihr gebeten worden war, sich einmal das Nebengebäude anzusehen, hätte er nicht damit gerechnet, die unbekannte Frau wiederzusehen.
Joshua fuhr sich mit einer Hand durch seinen Bart und musterte die beiden. „Als Wiedergutmachung für heute Morgen könnte ich mir Zeit freischaufeln und beim Renovieren des Gebäudes helfen. Wie lange gedenken Sie, hierzubleiben und zu renovieren? Und wie sieht es mit der Finanzierung aus? Ich bin nicht gerade günstig“, sagte er und unterdrückte dabei ein Grinsen. Seit seiner Rückkehr vor einem Jahr hatte er zahlreiche Aufträge in der Stadt, die er gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Tim problemlos abarbeiten konnte.
„Ich habe vier Wochen für die Renovierung eingeplant“, erwiderte Olivia knapp.
Joshua schüttelte den Kopf und trat näher. „Das werden Sie allein nicht schaffen. Sie benötigen Handwerker und können von Glück reden, wenn die Materialien für das Haus pünktlich geliefert werden“, antwortete er.
Joshua beobachtete das zerknirschte Gesicht der Frau, und für einen Moment beschlich ihn ein schlechtes Gewissen.
„Ich habe einen Businessplan erstellt, bei dem Bürgermeister McAllister nicht Nein sagen kann. Wie kann Crystal Lake ein Touristenort werden, wenn es kein Café gibt?“, sagte Diana und sah ihn strahlend an.
„Wann hast du den denn zusammengestellt?“, fragte Olivia.
„Du weißt doch, dass es mein Traum ist, das ehemalige Café neu zu eröffnen. Am Freitag habe ich einen Termin im Rathaus – ich bin zuversichtlich, dass wir einen Zuschuss bekommen. Bürgermeister McAllister wird nicht Nein sagen, wenn er an die guten alten Zeiten erinnert wird, als er selbst im Café von Ms. Morrison zu Gast war.“
Olivia öffnete kurz den Mund, schloss ihn dann aber wieder. Die Worte schienen ihr zu fehlen. Auch Joshua war überrascht, wie viel Energie Diana in dieses Projekt investierte.
Diana wandte sich an Olivia. „Du glaubst doch nicht, dass ich dich dein Erspartes für meinen Traum aufbrauchen lasse.“
Dann richtete sie ihren Blick auf Joshua. „Ich würde mich freuen, wenn du der Ansprechpartner für das Projekt wirst. Du hast Kontakte zu den Handwerkern, die wir benötigen“, sagte sie zu ihm.
Wie sollte er eine solche Bitte ablehnen? Dennoch schien Olivia dem Gedanken sichtlich skeptisch gegenüberzustehen. „Lasst uns heute Abend im Pub alles Weitere besprechen“, schlug er vor.
„Gerne. Ist dir zwanzig Uhr recht? Kommen deine Brüder auch?“, fragte Diana.
„Ich sage ihnen, dass wir uns treffen, vielleicht kommen wir alle mal wieder zusammen. In den letzten Wochen war jeder mit sich selbst beschäftigt“, erwiderte er, nickte Olivia zu und ging an Diana vorbei zum Ausgang. Hinter sich hörte er Diana, die versuchte, auf Olivia einzureden. Doch ihre Worte verstand er nicht, einzig Olivias lautes Seufzen drang an seine Ohren.
Auf dem Weg zu seinem Wagen fragte er sich, woher die beiden Frauen sich kannten. Er stieg ins Auto und fuhr zum Haus der Beckers, wo sein Angestellter Tim an einer alten Holztreppe arbeitete. Während der dreißigminütigen Fahrt ging ihm Olivia immer wieder durch den Kopf. Ihr kurz geschnittenes, zum Bob frisiertes Haar, ihr rundes Gesicht und das spitze Kinn, aber vor allem ihre funkelnden grünen Augen ließen ihn unwillkürlich auf einen heiteren Abend im Pub hoffen.
Bei den Beckers angekommen, konzentrierte er sich auf die Arbeit. Gemeinsam mit Tim reparierte er das Treppengeländer. Fünf Stunden später war der Auftrag erledigt, Tim würde dem Geländer am nächsten Tag noch einen frischen Anstrich verpassen.
Nachdem Joshua seinen Angestellten in den Feierabend verabschiedet hatte, fuhr er rasch zu seinem Haus. Er duschte, wusch sich den Staub vom Körper, zog sich eine Jeans und ein T-Shirt an, zündete sich eine Zigarette an und blickte auf seine Armbanduhr. Es war halb acht Uhr abends, und wie aufs Stichwort knurrte sein Magen. Ein angenehmes Kribbeln breitete sich in seinem Bauch aus. Er freute sich auf ein schmackhaftes Essen und auf Olivias Gesellschaft. Vielleicht würde das kanadische Bier ihre Zunge lockern, sodass er ihr im Pub mehr über sich und das geplante Café zu entlocken vermochte. Joshua erinnerte sich nicht daran, jemals an einer Frau Interesse gehabt zu haben, die ihn augenscheinlich nicht ausstehen konnte.
Er sah sich in seinem Blockhaus um, welches ein großes Wohnzimmer, eine Küche, ein Bad und ein Schlafzimmer beherbergte. Der kürzlich erworbene Jacuzzi auf der Terrasse wartete noch darauf, dass er ihn einweihte.
Neben dem Haus standen zwei alte Garagen sowie die Werkstatt, die er übernommen hatte, nachdem sein Vorgänger in den Ruhestand gegangen war. Nach seiner Ausbildung hatte er stets darauf geachtet, sich in den vielfältigen Bereichen der Holzverarbeitung fortzubilden. Jetzt war er bereit, sich ganz und gar Crystal Lake zu widmen. Die Stadtbewohner hatten auf seine Rückkehr gewartet, denn nun, da so viele Aufträge in der Stadt anstanden, war ein Zimmermann wie er mehr als nötig. Dennoch war er nervös gewesen, als er letztes Jahr zurückgekehrt war. Eine Sorge, die jedoch bald von der herzlichen Aufnahme der Bewohner und seiner Brüder aus dem Weg geräumt wurde.
Joshua verließ sein Haus und fuhr mit dem Wagen zurück in die Stadt. Eingebettet zwischen dichten Wäldern lag Crystal Lake. Er war dankbar, in diesem Ort geboren worden zu sein. Seine Kindheit verbrachte er damit, mit seinen Brüdern durch die Wälder zu streifen, Höhlen zu erkunden und mit seinem Vater zu zelten. Ein tiefes Gefühl von Heimat und Geborgenheit erfüllte ihn und ließ ihn lächeln. Die ungezähmte Natur würde er der Großstadt jederzeit vorziehen.
Punkt zwanzig Uhr betrat er den Anderson-Pub und fühlte sich augenblicklich in längst vergangene Zeiten zurückversetzt. Er erinnerte sich an Schachpartien mit seinem Dad und an seine Brüder, die unter den Tischen herumtollten.
Diana winkte ihm von der Bar aus zu, und während er an besetzten Tischen vorbeiging, grüßte er die anwesenden Stadtbewohner. Touristen waren nur wenige zu sehen, da Hotel und Campingplatz noch im Umbau waren. Joshua war überzeugt, dass bereits in etwa einem halben Jahr wieder mehr Touristen in Crystal Lake anzutreffen sein würden.
Er erreichte die Bar, an der Diana und Olivia auf hohen Hockern saßen. Diana lächelte ihn an, während Olivia ihn nur flüchtig musterte, bevor sie sich wieder der Theke zuwandte, an der Charlie gerade drei Bier zapfte. Joshua beobachtete, wie Charlie etwas sagte und Olivia daraufhin lachte. Dieses Lachen löste ein seltsames Ziehen in seiner Brust aus.
„Joshua, schön, dass du da bist. Gab es heute viel zu tun?“, fragte Diana.
„Tim hat den Großteil der Arbeit erledigt und bei den Beckers das Treppengeländer erneuert. Ich habe ihm geholfen, morgen müsste alles fertig sein“, antwortete er.
„Gut, dass du jemanden gefunden hast. Bei all der Arbeit in Crystal Lake, würden wir dich sonst kaum noch sehen“, bemerkte Charlie, während er ihm ein kaltes Bier auf den Tresen stellte.
Joshua nahm das Glas dankbar entgegen und trank einen tiefen Schluck.
„Es ist ein Glück, dass Sophie Crystal Lake wiederbelebt hat. Ich habe allerdings Bedenken, ob das Hotel bis zum Winter schon so weit renoviert ist, dass wir Touristen beherbergen können“, äußerte Diana und nahm einen Schluck von ihrem zur Hälfte geleerten Bier.
„Wenn täglich weitergearbeitet wird, könnte das Hotel rechtzeitig eröffnen. Bis der verwilderte Campingplatz jedoch wieder nutzbar ist, wird wohl noch ein Jahr vergehen. Mich reizt momentan eher die Aussicht auf eine größere Baustelle, die ich leiten soll“, erwiderte Joshua und sah dabei Olivia direkt an.
Sie ließ ihr Bierglas kreisen. Als Diana sie mit einem Ellbogenschubs berührte, warf sie ihrer Freundin unter zusammengekniffenen Augenbrauen einen genervten Blick zu und rollte mit den Augen.
„Na gut, ich lüfte das Geheimnis“, sagte sie.
Charlie stellte ein Glas auf der Bar ab und schaute Olivia an.
Mit einem leichten Seufzer strich sie sich den Pony aus der Stirn. „Diana und ich wollen das ehemalige Café zu neuem Leben erwecken und ein Büchercafé eröffnen. Ich habe schon mit dem Entrümpeln begonnen und Farbe gekauft, die dank einer hier anwesenden Person jetzt größtenteils auf dem Asphalt klebt“, sagte sie und schaute Joshua mit funkelnden Augen an.
Diana und Charlie richteten ihre Blicke auf Joshua.
Gelassen lehnte er sich zurück. „Das mit der Farbe ist unglücklich gelaufen. Aber wenn man nicht bereit ist, um Hilfe zu bitten, wirkt das ziemlich unreif.“ Er nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas.
„Unreif? Du hast mich fast überfahren, und wegen dir ist meine Lieblingsjeans jetzt nur noch zum Streichen zu gebrauchen“, zischte Olivia.
Etwas an ihrem Ton traf einen Nerv bei Joshua, und er erhob sich, umrundete Diana, bis er direkt hinter Olivia stand. Mit beiden Händen stützte er sich auf dem Tresen ab, sodass sie eingekesselt war. Er versuchte, seine aufkeimende Wut zu unterdrücken und den Blumenduft ihres Haars zu ignorieren. Es war Zeit, der kleinen Kratzbürste einen Denkzettel zu verpassen.
In seiner Nähe erstarrte Olivia. Joshua wusste, dass Charlies und Dianas Blicke wie bei einem Tennismatch zwischen ihnen hin und her schwankten.
„Ich werde mich jetzt hinten an einen freien Tisch setzen und biete dir zum allerletzten Mal an, über deine Bitte um Hilfe zu reden. Solltest du nicht kooperieren, könnt ihr zusehen, wer euer Projekt leitet. Außerdem wäre es schade, wo die Stadt doch auf das Café angewiesen ist“, verkündete er, griff nach der Schüssel mit Nüssen neben Olivias Glas und begab sich zu einem freien Tisch. Mit dem Rücken zur Wand beobachtete er, wie Diana und Olivia angeregt miteinander diskutierten.
Kurz darauf trat Charlie mit der Speisekarte an seinen Tisch heran. „Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen? Oder sollte ich eher fragen, was genau zwischen euch vorgefallen ist?“, fragte er.
Joshua nahm die Karte entgegen und überflog das Tagesmenü. „Ich nehme wie üblich das Steak mit Pommes. Und ich habe keine Ahnung, was in sie gefahren ist. Aber sie geht mir mit ihrer dickköpfigen Art langsam auf die Nerven“, erwiderte er und gab seinem Bruder die Karte zurück.
Charlie lachte.
„Was ist daran so lustig? Bei dir scheint sie entspannter zu sein. Mich fährt sie entweder an oder mustert mich missbilligend“, sagte er gereizt.
Währenddessen stand Olivia auf und kam zu ihnen rüber.
„Es ist nur erheiternd, weil ich dich so gar nicht kenne“, flüsterte er, verabschiedete sich und ging wieder hinter den Tresen.
„Setz dich bitte“, forderte er Olivia auf und deutete auf den freien Stuhl neben sich.
Zögernd ließ sie sich nieder, sah ihm einen Moment lang in die Augen und lehnte sich dann zurück. Ihr Bierglas stellte sie auf den Tisch.
„Um eins klarzustellen: Ich kann dich nicht ausstehen. Aber wir brauchen Hilfe bei der Renovierung. Also springe ich über meinen Schatten und bitte dich hiermit offiziell um deine Mitarbeit“, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.
Joshua unterdrückte ein Schmunzeln. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hätte sie lieber in eine saure Zitrone gebissen, als ihn um Hilfe zu bitten.
„Na also, war doch gar nicht so schwer, oder?“, fragte er mit einem Lächeln und beobachtete, wie sie die Lippen zusammenpresste und ihn stumm anstarrte.
Er konnte sich selbst nicht erklären, was ihn an ihr so reizte, aber ihre herausfordernde Art weckte in ihm den Wunsch, sie noch mehr aus der Reserve zu locken. „Dann erzähl mir mal, was ihr genau mit dem Gebäude vorhabt. Ihr sagtet etwas von einem Büchercafé?“, fragte er.
Olivia zog die Schultern zurück, mit einer Hand umfasste sie ihr Glas. „Diana war so lieb, mich ein paar Wochen bei sich aufzunehmen. Daher möchte ich ihr etwas zurückgeben. Sie hat mir schon oft von der Idee erzählt, aus dem alten Nebengebäude der Bäckerei ein Büchercafé zu machen. Ich dachte, mit ein paar Pinselstrichen wäre das erledigt, aber ich habe den Arbeitsaufwand völlig unterschätzt. Nicht nur du hast mich heute auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, auch Diana hat mich mit ihrem ausgeklügelten Businessplan überrascht. Ich habe das Gefühl, zu blauäugig an die Sache herangegangen zu sein.“
„Da muss ich dir recht geben. Diana ist sehr zielstrebig, wenn es für sie um eine Herzensangelegenheit geht“, entgegnete er spitz.
Sie hob den Blick, funkelte ihn an und schluckte offenbar die Worte hinunter, die ihr auf der Zunge lagen.
„Ich möchte mich bei Diana revanchieren, es fehlt nur noch deine Zusage, auf alles ein wachsames Auge zu haben“, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
Er beobachtete, wie Olivia mit dem Finger einen Wassertropfen vom Glas wischte. Plötzlich kam ihm eine ungewöhnliche Idee, etwas, das er bisher nie in Betracht gezogen hatte. Irgendetwas in ihm freute sich darauf, ihre Reaktion auf seinen Vorschlag zu sehen.
„Ich würde zustimmen, an dem Projekt mitzuarbeiten, aber nur unter einer Bedingung“, verkündete er und richtete sich auf.
Olivia sah ihn an, ihre grünen Augen funkelten im dämmrigen Licht des Pubs, und sein Herz schlug schneller.
„Ich höre“, sagte sie und presste die Lippen zusammen.
Joshua beugte sich vor. „Du wirst mir abends in meinem Haus Gesellschaft leisten“, flüsterte er und nahm mit Genugtuung wahr, wie Olivias Augen sich für einen Moment weiteten.
Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder. „Was soll das heißen?“, fragte sie lauernd.
Joshua unterdrückte ein leises Lachen. Es gefiel ihm, Olivia ein wenig herauszufordern. Wäre sie eine Katze, hätte sie jetzt ihre Krallen gezeigt. Ihr Blick blieb misstrauisch. Er strich sich mit der Hand über seinen Bart. „Ich möchte, dass du mir Modell stehst. Tagsüber restaurieren wir das Café, und an drei Abenden in der Woche kommst du zu mir in die Werkstatt.“ Bei seinen Worten konnte er die wechselnden Emotionen in ihrem Gesicht, von Verwunderung bis Empörung, deutlich erkennen.
Unvermittelt erhob sich Olivia, beugte sich leicht zu ihm herunter. „Ich weiß nicht, was du dir dabei denkst, aber ich werde dabei nicht mitmachen. Mein Körper steht nicht zum Verkauf“, erwiderte sie scharf und war kurz davor, den Tisch zu verlassen.
„Überleg es dir bis Donnerstagabend. Drei Tage, dann verfällt das Angebot. Ich bin der einzige Zimmermann in Crystal Lake und habe genug Aufträge. Du brauchst meine Unterstützung bei dem Projekt“, entgegnete er.
„Das nennt man Erpressung“, erwiderte Olivia und sah ihn von oben herab an.
Joshua hob den Blick. „Nennen wir es lieber einen Gefallen, den du mir erweist.“
Mit einem Schnauben ging sie zu Diana und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Dann verließ sie den Pub, ohne Joshua noch einen Blick zu schenken.
Diana winkte ihm zu und folgte Olivia nach draußen. Als sie den Pub verließen, löste sich die angespannte Stimmung in Joshua auf, zugleich sehnte er sich unwillkürlich nach dem hitzigen Schlagabtausch mit ihr zurück.
„Du siehst zu fröhlich aus, dafür, dass dich eine attraktive Frau am Tisch sitzen ließ“, neckte Dave, während er ihm ein neues Bierglas reichte und sich auf den Platz setzte, wo eben noch Olivia gesessen hatte.
Joshua hatte gar nicht bemerkt, dass sein Bruder den Pub betreten hatte – so sehr war er in das Gespräch mit Olivia vertieft gewesen. Er prostete ihm zu, nahm einen großen Schluck aus seinem Glas und stellte es dann vor sich ab.
„Sie ist verdammt von sich überzeugt. So jemand ist nichts für mich“, sagte er und sah zu Dave hinüber.
Sein Bruder lächelte schief. „Heute benimmst du dich eher wie ein ungezähmtes Tier als wie der besonnene Zimmermann, den ich kenne.“
Kelly trat an den Tisch heran. Mit einem koketten Lächeln und einem verführerischen Augenaufschlag fragte sie Dave: „Kann ich dir die Menükarte bringen?“
Dave nickte dankbar, während Kelly sich hinter die Bar zurückzog.
„Hör auf, mit dem Mädel zu flirten. Du musst sie nicht gleich auf deine Eroberungsliste setzen“, witzelte Joshua.
Dave legte den Kopf zur Seite. „Olivia geht dir ja echt unter die Haut. Heute bist du so redebedürftig.“
Joshua verschränkte die Arme vor der Brust. Er war sich bewusst, dass er auf Olivia und ihre Worte überreagierte. Normalerweise war er mit Frauen zusammen, die sich ihm anpassten. Er vermutete, dass es gerade Olivias scharfe Zunge war, die sein Interesse geweckt hatte. Mehr wollte er da nicht hineininterpretieren. „Zugegeben, sie braucht meine Hilfe als Zimmermann, aber sie tut sich schwer damit, diese anzunehmen. Und woher kennst du sie überhaupt? Charlie hat sie anscheinend auch nicht zum ersten Mal gesehen“, fragte er.
Kelly brachte Dave die Karte, und Joshua erhielt sein Abendessen. Bei dem verlockenden Duft knurrte sein Magen. Er nahm zwei Pommes mit den Fingern und biss herzhaft hinein.
„Olivia war vor drei Jahren hier zu Besuch. Damals warst du auf einer Fortbildung“, antwortete Dave, während er an seinem Bier nippte.
Joshua kaute nachdenklich. Wahrscheinlich war es die Weiterbildung zum Bildhauer gewesen. Er nahm sein Besteck und schnitt sein saftiges Steak in mundgerechte Stücke. „Woher kennen sich Olivia und Diana?“
Dave beobachtete ihn und hob eine Augenbraue.
„Soweit ich weiß, haben sie zusammen studiert. Aber warum fragst du mich danach, wenn sie dir so auf die Nerven geht?“
Joshua zuckte mit den Schultern und aß weiter.
„Ich kann dir aber noch etwas anderes verraten“, flüsterte Dave leise und lehnte sich mit einem Arm auf die Tischplatte.
„Es gibt da eine Stelle in ihrem Nacken, bei der sie himmlisch stöhnt, wenn man sie küsst.“
Diese Bemerkung ließ Joshua sich verschlucken, schnell griff er nach seinem Glas und trank hastig.
„Das war ein Scherz. Ich hatte nichts mit ihr, obwohl sie bei einer gemeinsamen Nacht mit mir sicherlich auf ihre Kosten kommen würde. Sie ist schon ein heißer Feger“, lachte Dave mit einem amüsierten Funkeln in den Augen.
Joshua nahm seine Gabel und versuchte, sie nicht in Daves Richtung zu schwingen. „Du bist ein Idiot.“
Dave lachte und rief nach Kelly: „Wir brauchen zwei Bier, und ich nehme das Gleiche, was mein Bruder auf dem Teller hat.“
Joshua versuchte, sich wieder auf sein Essen zu konzentrieren, doch Daves Worte hatten ihm den Appetit verdorben. Einerseits hoffte er, dass Olivia seinem Vorschlag, für ihn Modell zu stehen, nicht zustimmen würde. Andererseits brannte in ihm der Wunsch, sie in seiner Werkstatt herauszufordern, um zu sehen, wie weit er sie aus der Reserve locken konnte und ob sie ihre Krallen gegen ihn ausfahren würde.