Callum wurde von den Pittsburgh Titans als Manager eingestellt, um den Verein nach einem verheerenden Flugzeugabsturz wieder aufzubauen. Nun, da er das Team wieder auf Kurs gebracht hat, ist es an der Zeit, sich um sein eigenes Leben zu kümmern.
Als ich den Job als Manager bei den Titans annahm, war das genau die Chance, die ich brauchte, um mich in der Eishockeywelt zu beweisen. Leider ist meine Karriere nicht der einzige Bereich, in dem ich in der Vergangenheit Fehler gemacht habe.
Juniper Ryan ist ... kompliziert. Sie ist klug, witzig und unglaublich hübsch. Sie war nicht nur meine erste große Liebe, sondern diese Liebe bescherte mir auch das erste Mal ein gebrochenes Herz. Alte Wunden heilen jedoch nie ganz, und so wird mein Verlust der Gewinn meines Stiefbruders, denn Juniper ist seit fünf Jahren seine Frau. Ich habe gut daran getan, sie aus meiner Erinnerung zu löschen. Aber als ich zu einem familiären Notfall nach Hause reisen muss und die blauen Flecken an Junipers Körper sehe, bin ich entsetzt, dass sie in die Arme eines Monsters getrieben wurde.
Ich schwöre mir, unsere Vergangenheit hinter mir zu lassen und erfahre dunkle Wahrheiten über meinen Stiefbruder und seine Ehe mit meiner Jugendliebe. Und was noch schlimmer ist: Ich merke, dass die Gefühle, die ich einst für Juniper hatte, gar nicht so getilgt sind, wie ich glaubte.
Als die Ereignisse eine gefährliche Wendung nehmen, bin ich bereit, mich in die Schusslinie zu begeben, um mein Mädchen in Sicherheit zu bringen. Ich war junger ein Idiot, als ich Juniper das erste Mal verließ, doch ich bin heute ein Mann, der denselben Fehler kein zweites Mal macht!
Seit ihrem Debütroman im Jahr 2013 hat Sawyer Bennett zahlreiche Bücher von New Adult bis Erotic Romance veröffentlicht und es wiederholt auf die Bestsellerlisten der New York Times und USA Today geschafft.
Sawyer nutzt ihre Erfahrungen als ehemalige Strafverteidigerin in...
Juniper
Das Morgenlicht, das durch das Fenster in der Ecke fällt, reicht aus, um meine schlechte Laune zu vertreiben. Ich stütze die Ellbogen auf den Tisch, halte meine Kaffeetasse vor den Mund und blase leicht darüber, um das heiße Getränk abzukühlen.
Arbeiten gehen kann ich heute nicht. Egal, wie gut ich mich schminke, ich kann weder den blauen Fleck an meiner Schläfe noch die blauen Flecken an meinem Hals verbergen. Letztere stellen eindeutig vier Finger und einen Daumen dar, die mich gestern Abend gewürgt haben, als Preston heimkam. Es ist zu warm für einen Rollkragenpullover, und der Schal, den ich mir...
...um den Hals gewickelt habe, sieht blöd aus und verrutscht ständig.
Zum Glück sind Teile meiner Arbeit rein administrativer Natur, und ich kann sie mit einem Laptop an meinem Küchentisch erledigen. Ich werfe einen Blick auf meinen Computerbildschirm, der eine schöne Datenbank zeigt, die ich erstellt habe. Sie enthält die wöchentlichen Speisepläne, die ich zusammengestellt habe, um Menschen mit Ernährungsproblemen an gesunde Lebensmittel heranzuführen. Das vom Staat Kalifornien finanzierte Programm, für das ich arbeite, bietet drüben in meiner Heimat Jugendförderprogramme, psychosoziale Dienste, Ernährungsberatung, Sport- und Erziehungsprogramme, Alphabetisierungskurse, Arbeitskräfteentwicklung, Unterstützung bei der Wohnungssuche und Verteilung von Lebensmitteln an einkommensschwache Familien.
Ich komme aus Kings Beach, das nur acht Kilometer westlich an der kalifornischen Nordseite des Lake Tahoe liegt. Die Leute dort sind nicht annähernd so wohlhabend wie hier in Nevada, wo alle öffentlichen Strände für die Touristen sind. Es ist meine Heimatstadt, und das ist der Grund, warum ich mich entschieden habe, für ein Programm zu arbeiten, das dort tätig ist und nicht hier, wo mein Mann und mein Stiefvater herkommen.
Zu meinen Aufgaben gehört vor allem Ernährungsberatung in Schulen und Pflegeheimen sowie für gefährdete Familien. Außerdem entwickle ich über die örtlichen Park- und Erholungsämter Bewegungsprogramme für einkommensschwache Familien.
Ich liebe meinen Job. Um ehrlich zu sein rettet er meinen Verstand, und ich bin am Boden zerstört, weil ich hier in diesem Gefängnis festsitze, bis die blauen Flecken verschwunden sind. Als ich es heute Morgen gewagt habe, mich darüber zu beschweren, hat Joshua mich nur ausgelacht. Es ist ihm egal, ob ich zur Arbeit gehen kann. Wenn es nach ihm ginge, würde ich hierbleiben, um ihm und seinem Vater als bessere Haushälterin zu dienen, zumal Lila mit ihrer Arthritis nicht mehr viel tun kann. Ich habe noch nie zuvor zwei so misogyne Männer kennengelernt. Hinzu kommt, dass sie abscheuliche Menschen ohne jeden moralischen Kompass sind, und man kann mit Fug und Recht sagen, dass mein Leben inzwischen ziemlich beschissen ist.
Aber ich darf mich nicht beklagen. Es ist meine eigene gottverdammte Schuld, dass ich auf Joshuas Lügen hereingefallen bin, und jetzt sitze ich hier fest, weil ich einen Pakt mit dem Teufel geschlossen habe.
Mein Blick schweift wieder aus dem Fenster an der Westseite. Das Anwesen der Willards liegt direkt am See, und Lila hat über achttausend Quadratmeter roden lassen und ihre Zeit damit verbracht, Gärten anzulegen. Es ist so schön, dass ich mich darin verlieren könnte, ewig dort hinauszustarren. Ich finde den Anblick viel friedlicher als das Wasser selbst.
Das Klingeln der Alarmanlage reißt mich aus meinem Glücksgefühl, und mein Puls schießt in die Höhe, weil ich annehme, dass Preston aus irgendeinem Grund nach Hause kommt. Er ist keine Gefahr für mich, aber er ist ein Arschloch und gemein wie eine Hornisse. Ich weiß, dass es nicht Joshua ist, denn er ist heute Morgen nach Las Vegas geflogen, und ich werde drei gesegnete Tage ohne ihn haben.
Langsam erhebe ich mich von meinem Stuhl und gehe zu dem Bildschirm an der Wand an der Tür zum Abstellraum. Das Sicherheitstor schwingt auf, und ein weißes viertüriges Auto, das ich nicht kenne, fährt hindurch. Es sind weder Preston noch Joshua, und es ist auch nicht das Reinigungspersonal, das dreimal pro Woche kommt, was Sinn ergibt, denn heute ist kein Reinigungstag. Ganz sicher sind es nicht die Landschaftsgärtner – die waren gestern mit ihren drei großen Lkw hier, um Lilas Gärten zu pflegen.
Es gibt nur eine weitere Person auf der Welt, die den Code für das Tor hat, und ich bin verblüfft, dass sie ihn benutzt. Callum war seit seinem College-Abschluss nicht mehr in diesem Haus, was nicht heißt, dass er Lila nicht gesehen hat. Er übernachtet aber immer im Hotel.
Meine Hand wandert unbewusst zu meiner Schläfe und fährt über den Bluterguss, während ich beobachte, wie sein Auto die Einfahrt heraufkommt. Zögernd berühre ich den Schal um meinen Hals und merke, dass ich einen Blick in den Spiegel werfen muss. Ich eile ins Bad, drapiere meine Haare mehr über meine Schläfe und fächere sie mit den Fingern auf. Dann drehe ich den Schal so, dass der Knoten auf der Seite meines Halses liegt, wo keine Hämatome sind, und ziehe den Stoff über die Vorderseite, um die blauen und lila Flecken zu verdecken. Solange ich den Kopf ruhig und den Hals gerade halte, sollte der Schal nicht verrutschen.
Es klingelt, und ich ignoriere das wahnsinnige Pochen meines Herzens. Es wird zu gleichen Teilen von der Angst verursacht, dass Callum die Wahrheit über mein Leben erfahren könnte, und von einer seltsamen Erregung, weil ich den Mann sehen werde, den ich so sehr liebe.
Aber er hat dir das Herz gebrochen. Vergiss das nie.
Ich atme tief durch und gehe ruhig durch den großen Raum zu den massiven Flügeltüren aus Kiefernholz. Als ich den linken Flügel öffne, sehe ich Callum, der mit dem Rücken zu mir steht und auf den Vorgarten hinausschaut.
Er dreht sich um, und ich schwöre, er wirkt ein wenig enttäuscht, mich dort stehen zu sehen. Aber mich durchfährt ein Kribbeln, weil er trotz des Stirnrunzelns so gut aussieht.
„Preston und Joshua sind nicht hier“, sage ich, da er offensichtlich nicht hier ist, um mich zu besuchen.
„Ich habe nicht nach ihnen gesucht. Eigentlich hatte ich gehofft, dass niemand zu Hause ist.“
Ich runzle die Stirn über diese kryptische Aussage. „Was machst du dann hier?“
„Schnüffeln“, sagt er so sachlich, dass ich fast nicht glaube, dass ich ihn richtig verstanden habe. Doch bevor ich fragen kann, fügt er hinzu: „Ich möchte mir die hintere Terrasse ansehen und herausfinden, wo meine Mutter hingefallen ist. Das ergibt für mich keinen Sinn.“
„Und du hast an der Tür geklingelt, um zu sehen, ob jemand zu Hause ist, damit du nicht erwischt wirst“, vermute ich.
„Es ist mir scheißegal, ob ich erwischt werde“, sagt Callum mit säuerlicher Miene. „Ich habe das gleiche Recht, hier zu sein, wie jeder andere auch. Ich wollte nur niemanden erschrecken und erschossen werden.“
Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. „Ich hätte nicht auf dich geschossen.“ Ich trete von der Tür zurück und mache eine stumme Geste der Begrüßung mit meinem Arm. „Nur zu, sieh dich um.“
Callum tritt über die Schwelle, geht selbstbewusst durch den großen Raum und nimmt die extrabreite, aber sanft geschwungene Wendeltreppe hinunter in den Keller. Das Willard-Haus liegt auf einem erhöhten Grundstück, und die hintere Terrasse erstreckt sich vom unteren Stockwerk bis in den Garten.
Auf dem Weg nach unten fragt er: „Warst du hier, als es passiert ist?“
„Ich war auf der Arbeit, aber Preston hat mich angerufen, nachdem der Krankenwagen weg war. Ich bin sofort ins Krankenhaus gefahren.“
„War Joshua hier?“, fragt Callum.
„Das war er“, antworte ich, ohne zu zögern. Ich habe nichts zu verbergen, und wenn Callum einen Verdacht wegen der Verletzung seiner Mutter hat, liegt er wahrscheinlich nicht falsch. Joshua hat sein missbräuchliches Verhalten von seinem Vater gelernt.
Früher vertraute er mir immer seine Sorgen darüber an, was in diesem Haus hinter verschlossenen Türen vor sich ging. Ich wusste, dass Lila dieselben blauen Flecken hatte wie die, die ich jetzt verdecke, und es brach mir das Herz, zu sehen, wie hilflos sich Callum fühlte, weil seine Mutter nie etwas zugeben würde.
Ich weiß aber, was er gesehen hat. Als ich Joshua geheiratet habe und in dieses Haus einzog, hörte ich die gleichen Streitereien zwischen Preston und Lila hinter verschlossenen Türen. Ich sah die blauen Flecken und die luxuriösen Geschenke zur Entschuldigung, und am beunruhigendsten war, wie sie strahlte, nachdem sie diese Geschenke erhalten hatte – zusammen mit einem für ein paar Wochen vernarrten Ehemann.
Ich hätte nie gedacht, dass mir das auch irgendwann passieren würde.
Nun, es ist nicht ganz dasselbe. Ich nehme Joshuas Geschenke nicht an, und es gibt kein Nachglühen nach seinen Entschuldigungen. Zum Teufel, heutzutage … entschuldigt er sich nicht mal mehr. Er ist nur noch schadenfroh.
Callum entriegelt und öffnet die Flügeltür, die auf die schwarzen Schiefersteine führt, mit denen der Innenhof gefliest ist. Die Terrasse des Hauptgeschosses liegt über ihm und beschattet den Bereich. Er überquert zwei kleine Stufen und starrt dann auf die Stelle, an der Lila gestürzt ist. Ich meine, er kann nicht wissen, dass es die genaue Stelle ist – nicht einmal ich weiß das – aber Preston sagte, dass es so aussieht, als sei sie die Stufen hinuntergefallen. Die ganzen Terrassenmöbel stehen weiter weg, an denen hat sie sich nicht gestoßen.
Ich beobachte von der Tür aus, wie er sich umschaut. Er legt den Kopf in den Nacken und richtet den Blick auf eine der vielen Sicherheitskameras, die auf dem Grundstück installiert sind. Preston ist fast paranoid, wenn es darum geht, das zu schützen, was ihm gehört, und es gibt nicht nur draußen, sondern auch in den Hauptwohnbereichen Kameras.
„Mir scheint“, murmelt Callum, dessen Augen auf die Kamera gerichtet sind, „dass ich endlich herausfinden kann, was passiert ist.“ Dann richtet er seine Aufmerksamkeit auf mich. „Weißt du, wie man auf die Übertragung zugreift?“
Ich schlucke schwer und nicke. Ich denke nicht daran, zu lügen, weil das nicht in meiner Natur liegt, doch ich will mich nicht einmischen. Joshua wird schon wütend sein zu erfahren, dass ich Callum ins Haus gelassen habe, aber wenn ich ihn zu möglicherweise belastenden Beweisen führen würde …
Ein Schauer überläuft meinen ganzen Körper, und Callum bemerkt es. „Was ist los?“
„Nichts“, murmle ich. „Ich bin mir nicht sicher, ob Preston mich …“
Callum bewegt sich schnell, legt mir die Hand auf den Arm. „Juniper … du wohnst in diesem Haus, also weißt du, dass meine Mutter höchstwahrscheinlich durch Prestons Hand schwer verletzt wurde. Wie kannst du mir nicht helfen?“
Mein Magen dreht sich um, weil er recht hat … wie könnte ich nicht? Ich würde vielleicht nicht aktiv nach der Wahrheit suchen, weil mir klar ist, dass Lila sowieso nie etwas unternehmen würde, aber ihr Sohn ist eine andere Sache. Callum wird die Dinge selbst in die Hand nehmen und für Gerechtigkeit sorgen, und aus irgendeinem Grund stört mich das nicht.
Ich drehe mich um und gehe die Treppe wieder hinauf. Ich höre, wie Callum die Tür schließt und verriegelt, dann folgt er mir.
Neben Prestons Büro befindet sich ein kleiner Raum, in dem die gesamte IT-Automatisierungsausrüstung für das Haus untergebracht ist. Dort steht ein kleiner Schreibtisch mit einem Server und einem Computer, der das Sicherheitssystem steuert.
„Hast du die Zugangsdaten?“, fragt Callum und folgt mir hinein, nachdem ich das Neonlicht eingeschaltet habe.
„Ja. Ich arbeite manchmal von zu Hause aus und musste das System schon das eine oder andere Mal neu starten.“
Callum zieht den Stuhl für mich hervor, und ich lasse mich darauf nieder. Er kommt mir viel zu nah, als er eine Hand auf die Rückenlehne und die andere auf die Ecke des Schreibtischs legt und sich über mich beugt, während ich mich in das Sicherheitsprogramm einlogge.
Ich habe noch nie versucht, auf die gespeicherten digitalen Dateien zuzugreifen, aber das Programm ist ziemlich intuitiv bedienbar, und mit ein paar Klicks bin ich in den richtigen Ordnern. Ich wähle den Ordner von gestern, da ich weiß, dass die digitalen Dateien in Schritten von einer Stunde gespeichert werden.
Als sich der Ordner öffnet, erschrecke ich. „Er ist leer.“
„Scheiße“, knurrt Callum. „Geh zum Tag davor.“
Ich schließe diesen Ordner und öffne den von ihm erwähnten Ordner. Und da sind sie, die Dateien. Er bittet mich nicht einmal darum, aber ich öffne ein paar weitere Ordner, und die Videos sind alle da.
Der einzige leere ist der von dem Tag, an dem Lila verletzt wurde.
„Was denkst du?“, fragt Callum, und ich drehe meinen Kopf, um ihn anzusehen. Wir sind uns so nah, dass er mich küssen könnte, wenn er sich ein paar Zentimeter nach vorne lehnen würde.
Nicht, dass ich das jemals zulassen würde, und nicht, dass er es wollte.
Seine Augen sind beunruhigt und flehen um eine Antwort. Er möchte, dass ich bestätige, was er denkt. Die Tatsache, dass die Dateien gelöscht wurden, ist der Beweis, dass etwas Schändliches passiert ist.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich habe Angst, es laut auszusprechen, aber das spielt keine Rolle, denn seine Aufmerksamkeit ist von etwas anderem gefesselt.
Sein Blick wandert über meine Schläfe, und ich merke, dass ich mein Haar unwissentlich zurückgestrichen habe, als ich die Maus herummanövriert habe. Mit zusammengekniffenen Augen beugt er sich näher heran, um den blauen Fleck unter dem Make-up zu untersuchen.
Ich streiche mein Haar mit den Fingerspitzen nach vorn und versuche, mich von ihm abzuwenden. Seine Hand umklammert mein Handgelenk und zieht es nach unten. Mit der anderen Hand schiebt er mein Haar zurück und mustert eingehend mein Gesicht.
„Steh auf“, sagt er mit einem dunklen Knurren.
„Was? Nein.“
Er nutzt seine Hebelwirkung und zieht mich aus dem Stuhl. Nicht grob; sein Griff um mein Handgelenk wird nicht fester. Es ist ein sanftes Ziehen, dem ich nachgebe.
„Wir hatten zwar in den letzten Jahren keinen engen Kontakt“, murmelt er nachdenklich, und sein Blick wandert zu dem Schal um meinen Hals, „aber du bist nicht der Typ, der so etwas trägt.“
Bevor ich auch nur daran denken kann zurückzuzucken, zieht er den Stoff herunter und legt die blauen Flecken an meinem Hals frei.
„Was zum Teufel ist das?“, fragt er so laut, dass man es gerade noch nicht als Schreien bezeichnen kann.
Diesmal reiße ich mich los und schiebe mich hinter den Stuhl, um Abstand zwischen uns zu bringen. „Das geht dich nichts an“, stottere ich.
„Oh doch, verdammt“, knurrt er und greift nach meinem Handgelenk, vermutlich, um mich für einen weiteren Blick näher heranzuziehen.
Ich erschrecke, denn bei Joshua folgt auf eine solche Bewegung normalerweise ein Schlag. In meinem Herzen weiß ich, dass Callum das nie tun würde. Er neigt überhaupt nicht zur Gewalttätigkeit, aber ich reiße die Arme hoch, um mein Gesicht zu schützen.
Callum flucht vor sich hin, als er meine Reaktion sieht, und bleibt stehen. Doch er lässt mich nicht los. Stattdessen streckt er die andere Hand aus und schließt sie sanft um meine. „Komm mit.“
Er zieht mich mit sich, und meine Beine bewegen sich. Ich folge ihm aus purem Vertrauen in den Mann, den ich einst geliebt habe. „Wohin?“
„Reden“, sagt er. „Offenbar muss ich mich darüber informieren, was in der Familie Willard so läuft.“
Callum
„Wohin gehen wir?“, fragt Juniper, als ich sie aus dem IT-Raum führe.
„In mein Hotel.“
„Ich gehe nicht mit in dein Hotel“, sagt sie und zieht die Hand weg.
Mit einem strafenden Blick drehe ich mich zu ihr um. „Ich werde nichts Unangemessenes tun, falls du dir darüber Sorgen machst. Es geht nur darum, dass wir uns in Ruhe unterhalten können, und ich habe eine große Suite.“
Sie verdreht die Augen, wie sie es in unserer Jugend oft getan hat. Juniper signalisierte damit früher, dass ich wieder mal Quatsch geredet habe, und ich habe es geliebt, diese Reaktion hervorzurufen. „Ich weiß, dass du nichts Unangemessenes tun würdest“, wiederholt sie meine Formulierung gedehnt. „Schließlich will keiner von uns beiden was vom anderen. Aber dies ist eine kleine Stadt, und die Willards sind einflussreiche Leute. Wenn ich mit dir in dieses Hotel gehe, weiß Joshua innerhalb einer Stunde Bescheid.“
„Warum sollte dich das interessieren?“, kontere ich bissig und hebe eine Augenbraue.
„Weil ich keine Lust habe, sein Boxsack zu sein. Er ist wahnsinnig eifersüchtig auf dich.“
Das ist ein harter Schlag, und ich zucke heftig zusammen. Rohe Wut durchströmt mich, dasselbe Brennen, das ich noch vor einer Minute verspürte, als ich erkannte, woher diese blauen Flecken stammen, die ich gesehen habe. Im Gegensatz zu meiner Mutter versucht Juniper nicht, ihre Herkunft zu leugnen, und ich muss mit aller Macht den Wunsch unterdrücken, Joshua zu töten.
Doch das muss warten. „Du glaubst ja wohl nicht, dass ich dich in diesem Haus bleiben lasse, Juni. Das kommt nicht infrage. Du wirst sofort deine Sachen packen und gehen.“
Ich bin fassungslos, als sie zurückweicht und abwehrend beide Handflächen ausstreckt. „Das geht nicht.“
„Oh, und wie das geht“, blaffe ich. „Joshua wird dich nie mehr anrühren. Du ziehst jetzt auf der Stelle hier aus.“
„Das geht nicht“, beharrt sie.
„Doch, das geht“, knurre ich. „Ich bringe dich an einem sicheren Ort unter, bis wir eine bessere Lösung gefunden haben.“
„Du hörst mir nicht zu“, schreit Juniper frustriert und fährt sich mit den Fingern durch die Haare, ehe sie die Hände ausbreitet. „Ich sitze hier fest. Nicht freiwillig, sondern wegen der Umstände.“
„Was meinst du damit?“, frage ich zögernd.
„Mein Vater“, flüstert sie. „Er ist in einer tollen Einrichtung hier in Incline Village. Man pflegt ihn dort rund um die Uhr liebevoll. Er ist sehr gut versorgt, aber ich kann sie mir nicht leisten. Wenn ich Joshua verlasse, kommt mein Vater in die nächstgelegene staatliche Einrichtung, die über hundertachtzig Kilometer entfernt ist, und die ist eine Müllhalde, Callum. Ich habe sie mir angesehen, weil ich meine Alternativen abgewogen habe. Aber ich kann ihn nicht mit gutem Gewissen dort unterbringen. Also sitze ich mit Joshua in diesem Höllenloch fest, bis entweder mein Vater stirbt oder …“
„Oder du. Denn du wirst enden wie meine Mutter, wenn du nicht einen Schlussstrich ziehst.“
„Du hast ja recht“, seufzt sie verzweifelt. „Bitte … du bist immer noch die Person, die mich am besten kennt … du musst wissen, dass ich gehen würde, wenn ich könnte.“
„Warum zum Teufel hast du ihn überhaupt geheiratet?“, schreie ich voller Wut und Frustration, nicht nur wegen der Scheiße, die hier gerade läuft, sondern auch wegen des Schmerzes, Juniper vor fünfzehn Jahren verloren zu haben.
Sie zuckt zusammen, ihr Gesicht ist schamverzerrt. „Du hast ja keine Ahnung.“
Ich reibe mir aufgeregt mit der Hand das Kinn, denn jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um unsere kaputte Vergangenheit aufzuarbeiten. Ich muss Juniper in Sicherheit bringen.
„Geh ein paar Sachen packen“, sage ich, während ich mein Handy zücke.
„Ich sagte doch, ich kann nicht …“
„Juni, ich kümmere mich jetzt sofort um deinen Vater.“ Juniper bleibt ungläubig der Mund offen stehen. „Er wird die gleiche, wenn nicht sogar eine bessere Pflege bekommen, was bedeutet, es gibt für dich keinen Grund, hierzubleiben. Ich bringe dich in einem Hotel unter, und du setzt keinen Fuß mehr in dieses Haus, verstanden?“
Juniper ist vor Schreck wie erstarrt.
„Juni“, sage ich etwas leiser und nicke Richtung Treppe. „Bitte … geh deine Sachen packen. Vertrau mir einfach, ja?“
Ich dachte, mein Herz wäre immun gegen diese Frau, aber ich muss zugeben, es schmerzt, wenn ich sehe, wie verloren sie ist. Sie sieht sich in dem großen Raum um, in dem wir uns gestritten haben, und ist komplett verunsichert. Ich kann sie nicht noch mehr beruhigen, als ich es schon getan habe. Sie muss darauf vertrauen, dass ich mich um sie und ihren Vater kümmern werde.
Schließlich nickt sie leicht, und ich freue mich, dass sie die Schultern strafft. „Okay, gib mir fünfzehn Minuten.“
„Nimm dir Zeit. Ich werde ein paar Telefonate führen, um die Dinge ins Rollen zu bringen.“ Als sie die Treppe hinaufgeht, folge ich ihr, und sie sieht mich fragend über die Schulter an. „Ich brauche dich in der Nähe, damit du mir sagen kannst, wo dein Vater ist. Und du musst der Einrichtung die Erlaubnis geben, dass ich mich um die Vorbereitungen kümmern darf.“
„Okay“, flüstert sie.
Ich kenne das Haus gut. Juniper biegt gleich am Treppenabsatz in den Ostflügel ab, wo Joshua und ich unsere Zimmer hatten. Es waren riesengroße Suiten mit eigenen Bädern. Ich bin bestürzt, dass sie nicht in Joshuas Zimmer geht, sondern in mein altes.
Als wir eintreten, sehe ich, dass es komplett umgestaltet ist. Es schreit nicht gerade nach Weiblichkeit, aber die cremefarbenen und salbeigrünen Akzente verraten mir, dass dies Junipers Zimmer ist, und zwar ihres allein.
Interessant … sie und Joshua haben getrennte Schlafzimmer.
Ich kommentiere das nicht, sondern frage sie nach der Einrichtung, in der ihr Vater ist. Dann suche ich die Nummer heraus und rufe an. Ich brauche keine fünf Minuten, um den Direktor ans Telefon zu bekommen, und nach einem kurzen Gespräch, in dem Juniper mir die Erlaubnis gibt, in Vertretung ihres Vaters zu handeln, lasse ich die gesamte Rechnung auf meinen Namen ausstellen. Außerdem gebe ich die strikte Anweisung, dass Joshua und Preston Willard Coy Ryan nicht besuchen dürfen.
Meine Blicke folgen Juniper durchs Zimmer, während sie methodisch ihre Schubladen und Schränke durchwühlt, um zwei große Koffer zu packen. Sie kann nicht alles mitnehmen, aber ich werde ihr alles neu kaufen, was sie braucht.
Ich bin am Telefon, um ihr ein Zimmer in meinem Hotel zu reservieren, als ich sehe, wie sie ins angrenzende Badezimmer geht. Fassungslos beobachte ich, wie sie sich das Gesicht wäscht und das starke Make-up entfernt, das sie getragen hat, um die blauen Flecken zu verdecken. Sie zieht den Schal ab und wirft ihn in den Mülleimer, und ich habe das Gefühl, gerade die Geburt einer neuen Juniper Ryan miterlebt zu haben.
Bis sie ihre Sachen gepackt hat, habe ich ihr ein Hotelzimmer gebucht und die Schwesternstation angerufen, um mich nach meiner Mutter zu erkundigen. Nachdem ich Juniper ins Hotel gebracht und Preston ausreichend Zeit für einen Besuch gelassen habe, werde ich wieder hinfahren.
Ich muss zweimal gehen, um ihre Taschen zum Auto zu bringen, dann lassen wir das Willard-Anwesen hinter uns. Juniper wirft einen Blick über die Schulter, ehe wir um eine Kurve in der Einfahrt biegen … hoffentlich ein letzter Blick auf ihr Gefängnis.
Als wir gemeinsam das Boutique-Hotel betreten, in dem ich wohne, sagt Juniper kein Wort. Ich gebe dem Pagen einen Fünfziger, damit er mein Auto parkt, und nehme ihr Gepäck. Es dauert nicht lange, bis sie eingecheckt und ihr Zimmer bezogen hat. Ich hatte aus Sicherheitsgründen um ein Zimmer direkt neben meinem gebeten, aber das Beste, was ich bekommen konnte, war eines im selben Stockwerk, drei Türen weiter. Zunächst bringe ich sie in meine Suite, wo ich uns einen Kaffee kochen kann, während wir Dinge klären.
Sobald sie mit einer dampfenden Tasse in der Hand auf der Couch sitzt, nehme ich in einem der Ohrensessel Platz. Ich ignoriere meinen Kaffee – es ist an der Zeit, herauszufinden, wie Juniper in diese Situation geraten ist. Nachdem wir uns getrennt hatten, habe ich versucht, nicht zurückzublicken. Es war schmerzhaft, sie gehen zu lassen, doch ich konnte ihr Ultimatum nicht akzeptieren, und obwohl ich es später sehr bedauerte, konnte ich nichts mehr ändern, da sie inzwischen Joshuas Frau war.
Das ist etwas, was ich nie verstehen werde, allerdings scheint es, als hätten wir eine Menge zu besprechen, also fange ich damit an. „Ich begreife nicht, wie du jemanden wie Joshua heiraten konntest“, sage ich ganz offen. „Du bist nicht der Typ, der sich herumschubsen lässt, Juniper.“
Sie errötet, und ich fühle mich schlecht, weil ich ihr Unbehagen bereite, aber ich muss sie verstehen. Ihr Blick fällt auf die Tasse in ihren Händen. „Am Anfang war er nicht gewalttätig. Eher das genaue Gegenteil.“ Juniper hebt den Blick und sieht mich an. „Er war da, als du nicht da warst, nett, tröstend und lieb. Nachdem meine Eltern verunglückt waren, war Joshua für mich da, so wie ich es brauchte.“
Scheiße … das war ein Schlag ins Gesicht. Es war furchtbar für mich, nach Hause zu kommen, um zu Olivias Beerdigung zu gehen. Aber Juniper gleich nach unserer Trennung mit meinem Bruder zu sehen, war wahrscheinlich das Schlimmste, was ich je durchgemacht habe.
„Er ist überhaupt nicht ausfällig geworden?“, dringe ich in sie. Denn solche Verhaltensmuster kann man nicht verbergen.
„Joshua hatte nie ein böses Wort für mich, bis wir geheiratet haben“, sagt sie mit unerschrockener Offenheit. „Aber nach der Hochzeit … hat sich alles geändert.“
„Warum hast du mir nichts gesagt?“, frage ich.
Juniper lacht. „Es ging dich nichts an, Callum. Du hast mir den Laufpass gegeben, erinnerst du dich? Du warst nicht bereit, dich zu binden, also warum sollte ich ausgerechnet zu dir kommen und um Hilfe bitten?“
„So einfach war das nicht, Juni“, mahne ich. „Ich habe dich geliebt, wollte etwas Festes. Aber ich wollte warten, bis ich einen Job im Frontoffice hatte, bevor ich es offiziell mache.“
„Blödsinn“, antwortet sie ohne Groll. Es klingt traurig und leise. „Du hättest mich gleich mitnehmen können, als du deinen ersten Job nach dem College angetreten hast.“
„Es wäre zu hart für dich gewesen“, erinnere ich sie an den alten Streit, den wir immer wieder aufwärmten. „Ich war dauernd auf Reisen. Du wärst ständig einsam gewesen.“
„Ich war einsam“, schnauzt sie, und ihre Augen lodern wie Feuer. „Weil du mich zurückgelassen hast. Aber die ganze Zeit hatte ich Joshua zum Freund. Er hat mir beigestanden. Mir Mut gemacht. Nach dem Unfall meine Hand gehalten.“
„Zweifellos hat er dir auch eingeflüstert, mir ein Ultimatum zu stellen“, brumme ich.
Sie errötet wieder, und ich weiß, dass ich den Nagel auf den Kopf getroffen habe. Ich vermute schon lange, dass er Juni gegen mich aufgehetzt hat, und ihre Reaktion bestätigt es.
„Nichts davon spielt eine Rolle.“ Sie sieht über alle Maßen erschöpft aus. „All das liegt in der Vergangenheit, und jetzt muss ich mir überlegen, was meine Zukunft bringt. Joshua wird mich nicht einfach so gehen lassen.“
„Was meinst du damit?“ Ich beuge mich zu ihr, die Ellbogen auf den Knien. „Dein Vater ist versorgt. Ich werde die Pflegeheim-Rechnungen bezahlen …“
„Das geht nicht …“
Ich hebe die Hand. „Das geht, und das werde ich. Ich habe ausreichend Geld. Du musst dich nur von diesem Bastard scheiden lassen.“
Juniper stellt ihren Kaffee auf den Beistelltisch und presst die Fingerspitzen gegen den Nasenrücken, als wollte sie Kopfschmerzen bekämpfen. „Du verstehst das nicht. Joshua ist … besitzergreifend, was mich angeht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er mich hasst, aber er wird mich nicht kampflos gehen lassen.“
„Er hat nichts zu sagen. Wenn du dich scheiden lassen willst, dann lass dich scheiden. Da gibt es keine Diskussion.“
„Das sagst du“, antwortet sie abweisend und lässt die Hände in den Schoß fallen.
Es ärgert mich, dass sie nicht bereit ist, zu kämpfen. Ich habe sie aus dem Haus geholt und das Problem der Pflegekosten für ihren Vater beseitigt. Warum ist sie nicht glücklich?
Dann dämmert es mir, und ich kann nicht vermeiden, dass meine nächsten Worte abschätzig klingen. „Es sei denn … du willst bei ihm bleiben. Gefällt es dir, in so einer Beziehung zu sein?“
Junipers ungläubiger, ablehnender Blick trifft meinen. „Sagst du so dumme Dinge, weil du dämlich oder weil du gefühllos bist?“
„Wie bitte?“
„Du kennst mich. Sehe ich aus wie eine Frau, die es mag, wenn man sie herumschubst, wie eine Dienerin im eigenen Haus behandelt oder ständig herabsetzt? Glaubst du, ich würde mich jemals dafür entscheiden, wenn nicht das Leben meines Vaters auf dem Spiel stünde?“
„Nein“, sage ich, ohne zu zögern. Juniper hätte das sonst niemals toleriert.
Sie hätte mich verdammt noch mal anrufen sollen, aber ich habe ihr keinen Grund gegeben, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Ich habe damals sehr schnell einen Schlussstrich gezogen. Sobald sie anfing, sich mit Joshua zu treffen, gab es keine Chance mehr, Freunde zu bleiben.
Juniper atmet tief durch. „Danke, dass du dich um meinen Vater gekümmert hast. Das war das Einzige, was mich davon abgehalten hat, zu gehen. Ich werde einen Weg finden, mich zu revanchieren.“
„Du musst dich nicht …“
„Ich werde mich revanchieren“, wiederholt sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet.
Aber ich habe auch gar nicht die Absicht, mit ihr zu diskutieren. Ich werde keinen Cent als Rückzahlung annehmen, denn ich habe mehr Geld, als ich brauche. Stattdessen komme ich auf unser voriges Thema zurück, um meine Neugierde zu befriedigen.
„Ich möchte etwas verstehen“, beginne ich leise und hoffe, dass mein sanfter Tonfall ihr deutlich macht, dass ich nicht auf Streit aus bin. „Wie bist du mit Joshua zusammengekommen? Das habe ich nie kapiert.“
„Spielt das eine Rolle?“, fragt sie.
Das sollte es nicht, doch die Antwort lautet Ja. Es ist wichtig, weil Juniper meine große Liebe war und ich sie verloren habe. Ein Mann, den ich verachte und der sie nicht verdient, ist an meine Stelle getreten. Ich brauche Klarheit.
„Ja … es spielt eine riesige Rolle. Schon immer, aber ich war bisher nie in der Lage, zu fragen. Also frage ich jetzt.“