Er hatte nichts mehr zu verlieren. Doch dann kam sie.
Blakes Vergangenheit ist ein Trümmerfeld aus Verrat, Tod und dunkler Schuld. Auf dem direkten Weg in den Abgrund kreuzt ausgerechnet Jake, Präsident des Kings of Retribution MC, seinen Weg – und rettet ihm das Leben. Der Club wird zu seiner Heimat, die Brüder zu seiner Familie. Für Blake zählt nur noch Loyalität. Disziplin. Kontrolle. Er glaubt, endlich Frieden gefunden zu haben.
Bis Ember auftaucht – wild, frei und völlig unberechenbar.
Ember hat ihr altes Leben hinter sich gelassen, mitsamt den goldenen Fesseln elterlicher Erwartungen. Sie will mehr als ein Leben nach Plan – sie will brennen, kämpfen, atmen. Als sie in eine bedrohliche Lage gerät, findet sie im Club Schutz – und eine neue Art von Familie. Doch mit Blake ist es anders: Er weckt in ihr eine Leidenschaft, die sie selbst nicht zähmen kann.
Als Blakes dunkle Vergangenheit zurückkehrt, wird aus Leidenschaft brutale Realität. Ein tödliches Spiel beginnt – und Ember gerät in die Hände des Feindes.
Für den Mann, der ihm alles genommen hat, kennt Blake nur eine Antwort: Blut.
Crystal Daniels und Sandy Alvarez sind ein Schwestern-Duo und die USA Today-Bestsellerautorinnen der beliebten "Kings of Retribution MC"-Serie.
Seit 2017 hat das Duo zahlreiche Romane veröffentlicht. Ihre gemeinsame Leidenschaft für Bücher und das Geschichtenerzählen führte sie auf eine aufregende Reise,...
Crystal Daniels und Sandy Alvarez sind ein Schwestern-Duo und die USA Today-Bestsellerautorinnen der beliebten "Kings of Retribution MC"-Serie.
Seit 2017 hat das Duo zahlreiche Romane veröffentlicht. Ihre gemeinsame Leidenschaft für Bücher und das Geschichtenerzählen führte sie auf eine aufregende Reise,...
Blake
Es ist noch früh am Morgen, als ich lautlos durch das Clubhaus spaziere, um einen Kontrollrundgang zu machen, und die Überwachungskameras zu checken, bevor ich vor Greys Schlafzimmer stehen bleibe und mit meinen Fingerknöcheln an die Tür klopfe. Ich warte einen Augenblick, bis ich höre, wie er mit der Faust dumpf gegen die Wand schlägt. Das ist seit einigen Jahren unsere Art zu kommunizieren, wenn ich ihn wissen lassen möchte, dass ich das Grundstück verlasse, ohne dass er seinen Hintern aus dem Bett bewegen muss.
Ich schlendere durch den großen Aufenthaltsraum, entscheide mich dann aber für einen Umweg an Embers...
...Zimmer vorbei, ehe ich das Clubhaus verlasse. Es ist erst wenige Stunden her, seit ich mich aus ihrem Zimmer geschlichen habe, da ich von einem unangenehmen Traum geweckt wurde, den ich dann nicht abschütteln konnte.
Leise öffne ich die Tür einen Spalt und linse hinein. Das Geräusch des sich drehenden Ventilators füllt den Raum und die Brise, die er erzeugt, lässt die durchscheinenden Vorhänge hin und her schwingen, sodass das bräunlich-graue Mondlicht sich wie Wellen über die Schlafzimmerwand bewegt. Mein Blick landet auf Embers schlafendem Körper. Sie liegt halb auf dem Bauch. Eines ihrer Beine ist unter der Decke hervorgestreckt und offenbart den Pfad an Blumen, der auf ihren Oberschenkel tätowiert ist.
Ich bin erbärmlich.
„Blake?“
Verdammt. Ich schließe die Augen, könnte mir selbst dafür in den Hintern treten, überhaupt nach ihr gesehen zu haben.
„Alles in Ordnung?“ Ihre zarte Stimme klingt besorgt.
Ist alles in Ordnung? Okay, das ist eine Gretchenfrage.
„Ja, keine Sorge. Ich mache nur einen Rundgang und schaue nach allen, bevor ich aufbreche.“
Ember schlägt die Decke zur Seite, gleitet aus dem Bett und kommt in meine Richtung. Ich höre das Geräusch ihrer nackten Füße auf dem Boden. Sie trägt einen weißen Slip und ein bauchfreies Shirt mit einem T-Rex-Aufdruck. Das Wort rawr ist straff über ihre Brüste gespannt. Ember zieht die Tür ein bisschen weiter auf und blickt prüfend zu mir hoch.
„Konntest du nicht schlafen?“ Sie gähnt, und ich fühle mich schrecklich, weil ich sie gestört habe.
Ich kann nicht anders – ich sauge ihren Anblick in mich auf. Wie kann eine Frau so gottverdammt wunderschön sein? Mit ihren magischen grauen Augen starrt Ember mich an, während sie auf eine Antwort wartet. Ein paar Haarsträhnen verfangen sich in ihren langen Wimpern, als sie blinzelt. Ich will meine Hand ausstrecken und ihr die losen Strähnen aus dem Gesicht streichen, aber ich halte mich zurück.
Mein Herz klopft gegen meinen Brustkorb. Wenn sie nur wüsste, was es in mir auslöst, in ihrer Nähe zu sein.
„Ja“, antworte ich. Die Wahrheit ist, dass Schlaf eine schwierige Angelegenheit für mich ist – seit Jahren. Nur wenn Ember Musik für mich spielt, kann ich inneren Frieden finden. „Ich sollte besser gehen.“
Sie lehnt sich mit der Schulter gegen den Türrahmen, ohne ihren Blick auch nur für eine Sekunde von meinem Gesicht zu lösen. „Möchtest du Kaffee, bevor du gehst?“
Verdammt, ich liebe es, wie fürsorglich sie immer ist. „Nein, Babe.“
Ein Stromstoß fährt mir unter die Haut, als sie meinen Unterarm berührt. „Ich mache mir Sorgen um dich, Blake. Du hast in letzter Zeit nicht viel geschlafen, noch weniger als sonst. Warum kommst du nicht …“
„Geh wieder ins Bett.“ Ich unterbreche sie. Mir ist klar, was sie sagen will. Ich schlucke die Gefühle, die ihre Berührung in mir entfacht, hinunter und gehe einen Schritt zurück, um Abstand zu gewinnen. Ihre Hand rutscht von meinem Unterarm. Wir spielen dieses Spiel bereits seit langer Zeit. Viel länger, als ich es zugeben möchte. Die Anziehung zwischen uns ist eine tickende Zeitbombe, die nur darauf wartet, zu explodieren, und mit jedem Tag, der vergeht, fällt es mir schwerer, mich dieser Naturgewalt entgegenzustemmen.
Mein Mund wird trocken, als die Gedanken in meinem Kopf sich wie verrückt ihren Weg durch meine Lippen bahnen wollen, während Ember zu mir hochsieht. Sie weiß, dass ich gegen mich selbst ankämpfe, daher schweigt sie. Stattdessen schlägt sie die Augen nieder und schließt die Tür.
Ich drücke meine Handfläche gegen das Holz und stehe wie versteinert da. Gleichzeitig kämpfe ich gegen das überwältigende Gefühl an, auf der anderen Seite der Tür sein zu wollen. Du kannst das nicht tun.
Schlussendlich ignoriere ich jede Zelle meines Körpers, die zu Ember ins Bett kriechen will, und gehe davon.
Einige Zeit später stehe ich vor dem Projekt, an dem ich seit einigen Wochen arbeite, wische mir den Schweiß von der Stirn und prüfe jedes Detail, das ich in die Roteiche geschnitzt habe. Der Kunde aus Alaska hat einen lebensgroßen Yukon-Wolf in Auftrag gegeben. Zufrieden mit meinem Fortschritt lege ich die Schnitzwerkzeuge auf den Arbeitstisch.
Eine Windbö pfeift durch die Scheune und wirbelt Sägespäne und Holzschnitzel in allen Größen und Formen über den dreckigen Boden. Ich spaziere zu der kleinen Kühlbox am Eingang der Scheune, hebe den Deckel hoch, ziehe eine Flasche Wasser heraus und trinke die Hälfte, während ich nach draußen schlendere.
Dann setze ich mich auf den Stumpf eines Baumes, den ich vor einigen Wochen fällen musste. In der Ferne hängen schwere graue Wolken am Himmel, die das Licht der gerade erst aufgegangenen Sonne verdunkeln. Die zartrosa Nuancen, die sie über den Himmel verteilt, verschwimmen mit düsteren Farbtönen. Ich kann von diesem Hügel aus meilenweit sehen, über die Baumkronen bis zu einem See in der Ferne.
Bis auf die Bäume steht auf diesem Grundstück lediglich die alte Scheune hinter mir. Mit dem Geld, das ich durch den Verkauf einiger Skulpturen verdient habe, habe ich mir mein kleines Stück vom Himmel gekauft, und sobald ich genug gespart habe, werde ich hier auch ein Zuhause bauen.
Ich nehme das gefilterte Ende einer Zigarette zwischen meine Lippen, zünde sie an und nehme einen Lungenzug voller Nikotin. Ich halte den Atem an, bis es in meiner Brust brennt, bevor ich ausatme. Wenn ich darüber nachdenke, aus welchen Verhältnissen ich stamme, muss ich ein verfluchter Glückspilz sein, da ich in meinem Leben heute hier stehen darf, wo ich jetzt bin. Wären damals nicht Jake und die anderen in mein Leben getreten, wäre ich heute möglicherweise bereits tot.
Der Club bedeutet mir alles. Ich habe Brüder, die ihr Leben für mich geben würden. Und ich würde dasselbe für sie tun. Ein Mitglied der Kings of Retribution zu sein, gibt mir einen Sinn und die Kraft zu kämpfen. Mein Bekenntnis zum Club ist mehr als nur Loyalität, weil diese Männer meinem Leben Bedeutung gaben, als ich es selbst nicht mehr konnte. Sie sind meine Familie.
Es gab einen Punkt in meiner Vergangenheit, an dem habe ich mich nach dem Tod gesehnt. Mein Leben fühlte sich wie eine massive Last an, die mich in die Tiefe zog. Ich habe gelitten. Die Sucht saugte mir langsam die Seele aus. Für eine lange Zeit war ich nur noch ein lebender Toter. Um ehrlich zu sein, zog ich diese Art zu leben jeder anderen vor. Es war einfacher, nichts zu fühlen und meinen Schmerz zu verstecken, als sich der Realität zu stellen. So funktioniert Sucht. Sie nährt sich von all den Unsicherheiten, der negativen Energie und den Traumata, die eine Person umgeben, und gaukelt einem vor, nicht mehr ohne sie leben zu können. Die Abhängigkeit gibt einem ein falsches Gefühl der Sicherheit. Aber egal, wie gut sich das High anfühlt … diese warme Umarmung ist nur eine Lüge.
Ich atme tief ein. Noch haben die Dämonen mich nicht wieder eingeholt, aber ich bin mir der andauernden Bedrohung im Verborgenen überaus bewusst. Sie lauern nur auf den richtigen Moment der Schwäche, um sich wieder zu zeigen. Jeden Tag wache ich auf und entscheide mich für das Leben. An manchen Tagen ist das schwieriger als an anderen, doch wenn ich an die wichtigsten Menschen in meinem Leben denke, schüttle ich die schlechten Gedanken ab und mache weiter.
Ein paar Stunden später vollende ich bei meinem Hauptjob ein Blumentattoo auf der Brust meiner Kundin, einem Mädchen namens Stacy. „Hast du Pläne für heute Abend?“, fragt sie.
Ich halte meinen Kopf gesenkt und konzentriere mich weiter auf meine Tätigkeit. „Warum?“
„Ich dachte, du möchtest vielleicht zu mir kommen?“, fragt sie hoffnungsvoll. Ich nehme die Tätowiermaschine von ihrer Haut, lege sie auf den Tisch neben mich und blicke Stacy an, ohne etwas zu sagen. „Vermisst du mich denn nicht?“ Sie zieht einen Schmollmund.
Ich möchte ihre Gefühle nicht verletzen, also schweige ich. Ihre Anhänglichkeit ist der Grund, warum ich sie seit einer Weile nicht mehr gefickt habe. „Du könntest mich wieder einmal ins Clubhaus einladen.“
Schnell zerschlage ich ihre Hoffnungen. „Das wird nicht passieren.“ Ich schnappe mir ein paar saubere Papiertücher und eine Flasche mit grüner Seife und reinige das Tattoo. „Schau es dir mal an“, sage ich zu ihr und säubere meinen Arbeitsplatz.
Stacy gleitet von der Liege und stellt sich vor den Spiegel. „Es ist wunderschön, Blake.“ Dann dreht sie sich zu mir um, damit ich die frische Tinte mit einem selbsthaftenden Verband bedecken kann. „Komm schon. Hat es dir nicht mehr bedeutet als einfach nur Sex?“, jammert sie und versucht weiterhin, mich zu ködern. Stacy tritt ganz nah an mich heran. Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie Gabriel den Kopf schüttelt. Es ist klar, dass er mitbekommt, was hier passiert. „Ich kann nicht aufhören, an dich zu denken.“
„Wir haben seit über einem Jahr nicht mehr miteinander geschlafen. Komm darüber hinweg.“ Ich zeige kein Interesse an ihrem Feldzug, mich wieder ins Bett zu bekommen.
„Ich habe dich mit keiner anderen Frau hier in der Stadt gesehen.“ Sie schweigt für einen Moment, und ich glaube bereits, dass sie aufgegeben hat, doch da fährt sie lachend fort: „Fickst du eine der Clubhuren?“
Ich blicke sie scharf an, und Wut zieht mir die Eingeweide zusammen. „Nur weil ich deine Muschi gefickt habe, hast du noch lange keinen Anspruch auf mich. Und ganz sicher gibt es dir nicht das Recht, zu hinterfragen, wen ich in meinem Bett habe.“
Stacys Gesicht läuft vor Wut und Scham rot an, weil ich weder subtil noch leise gesprochen habe.
„Weißt du was? Fick dich, Blake. Ich bin besser als jede Hure.“ Ihre Worte machen mich nur noch zorniger, aber ich bleibe standfest. Sie schnappt sich ihre Tasche vom Boden, kramt darin herum und wirft mir etwas Trinkgeld vor die Füße, bevor sie aus dem Shop stampft.
Ich fahre damit fort, mein Werkzeug zu reinigen und zu sterilisieren.
„Das ist aber schnell eskaliert. Die ist absolut bekloppt.“ Grey beobachtet Stacy durch das Fenster dabei, wie sie in ihren Wagen steigt. „Ich habe dir gesagt, dass sie Ärger macht“, fügt er großspurig hinzu.
„Du kannst dir deine Schadenfreude sparen.“ Ich fahre mir mit der Handfläche übers Gesicht.
„Gut. Wie wärs mit einem Bier und einer Partie Billard, bei der ich dir in den Hintern trete?“ Grey wirbelt seine Schlüssel um den Finger. Er will uns damit wohl sagen, dass er zum Clubhaus aufbrechen möchte.
Dankbar für den Themenwechsel nicke ich. „Okay, und um uns die Partie zu versüßen, wäscht der Verlierer dieses Wochenende die Bikes aller Clubmitglieder“, schlage ich vor, und meine Laune wandelt sich zum Besseren.
„Ich setze noch einen drauf. Der Verlierer wäscht die Bikes und muss dabei Hotpants tragen.“ Grey grinst.
Ein herzhaftes Lachen entweicht mir. „Du wirst scheitern, Bruder.“
Grey wirft Gabriel einen Blick zu. „Sonst noch etwas, das ich außer den paar Kisten Whiskey auf dem Heimweg bei Charley’s besorgen soll?“
„Besorge für die Frauen ein paar Flaschen von dem fruchtigen Zeug, mit dem sie ihre Drinks gern mischen“, brummt Gabriel in seiner üblichen Art.
„Alles klar!“, ruft Grey über seine Schulter, als er durch die Tür tritt.
Bevor ich den Laden verlasse, hält mich Gabriel zurück und sagt: „Es ist einfacher, wenn du nicht davonläufst.“
„Wovor davonlaufen?“ Ich bin gespannt, welchen Weg dieses Gespräch nehmen wird. Gabriel ist kein Mann der vielen Worte.
„Nicht wovor – vor wem.“
Er muss das nicht näher ausführen. Ich weiß, von wem er spricht. Zur Hölle, jedes Clubmitglied hat mitbekommen, welchen Tanz Ember und ich seit einigen Jahren aufführen. „Sie verdient etwas Besseres.“
„Denkst du nicht, sie sollte das selbst entscheiden dürfen?“ Mit diesen Worten haut Gabriel mir die Realität erneut um die Ohren, und ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll.
Später in dieser Nacht sind wir alle im Clubhaus versammelt und genießen ein paar Drinks und gute Musik. Nachdem ich Grey in drei Partien Billard geschlagen habe, werfe ich den Queue auf den Tisch und grinse von einem Ohr zum anderen, weil ich weiß, dass nicht ich derjenige sein werde, der Chrom einseift, während ihm der halbe Hintern raushängt.
Quinn schlendert durch den Raum zu einer Korkpinnwand in der Nähe der Eingangstür, wo er arglistig eine kurze, abgeschnittene Jeans mit zwei Taschenmessern angepinnt hat. „Wie wärs mit einer Generalprobe vor der Hauptveranstaltung?“, neckt Quinn Grey, während er ihm die Shorts zuwirft, bevor er sich neben Gabriel setzt und Emerson auf seinen Schoß zieht.
„Verdammt, Mann. Du hättest sie nicht so höllisch kurz schneiden müssen.“ Grey hält sich die Jeans an die Hüfte. „Wie zur Hölle soll ich damit meinen Schwanz verdeckt halten?“ Er inspiziert den schmalen Streifen Jeansstoff, der die Hosenbeine zusammenhält.
„Ein Tanga wird schon dafür sorgen, dass dein Würstchen und deine Eier gut verstaut sind, und deine Arschbacken trotzdem wunderbar entblößt werden“, meint Quinn beiläufig und zieht damit alle Blicke auf sich. „Was denn?“ Er schaut in die Runde. „Tangas werden auch für Jungs gemacht und sind nichts anderes als ein Sportsuspensorium.“ Er zuckt mit den Achseln und kippt seinen Drink hinunter.
„Jesus“, murmelt Gabriel, und Alba neben ihm kichert. Auf der anderen Seite des Tisches kann Sam sein Lachen nicht zurückhalten, und Sofia läuft rot an.
„Hey, großer Junge, probiere es einfach einmal aus, bevor du dir ein Urteil bildest. Wie wärs, wenn ich dir einen kaufe?“, fragt Quinn provozierend in Richtung Gabriel. Er kann nicht anders.
„Wie wärs, wenn ich dir meinen Fuß mit Schuhgröße siebenundvierzig in den Arsch schiebe?“, grummelt Gabriel. Bevor Quinn Gabriel weiter reizen kann, dreht sich Alba um und flüstert ihrem Mann etwas ins Ohr. Dieser steht sofort auf und zieht seine Frau an sich. „Ich bringe meine Frau nach Hause.“
Die versammelte Runde bricht in Gelächter aus.
Alba winkt allen zum Abschied, als sie und Gabriel sich nach Hause aufmachen.
„Wir sind für heute auch durch.“ Sam steht auf, und Sofia schließt sich ihm an. „Wir sehen uns morgen.“
Einige Stunden später sind fast alle bereits nach Hause gefahren. Ein paar von uns räumen noch auf, bevor wir alles absperren und uns auf den Weg ins Bett machen.
Nach einer kurzen Dusche liege ich im Bett, starre aus dem Fenster und beobachte das nächste herannahende Gewitter. Blitze erhellen die Nacht, und die darauffolgenden Donner lassen die Fensterscheiben vibrieren.
Der Klang von Embers Cello hallt durch das Clubhaus. Ich klettere aus dem Bett – wie eine Motte zum Licht zieht es mich zu ihr. Der Musik folgend finde ich mich vor ihrer Tür wieder. Wie bereits Hunderte Male zuvor will ich es mir selbst ausreden, hineinzugehen. Ich verliere den Kampf, drücke langsam die Türklinke hinunter und gehe hinein, um mir meinen nächsten Schuss abzuholen. Ember hält ihre Augen geschlossen, während sie mit dem Bogen über die Saiten fährt, aber ihre Lippen verziehen sich zu einem Lächeln, als sie ihre Lider schlussendlich doch öffnet und in meine Augen blickt.
Ich bin süchtig, und sie ist meine Droge.
Ember
Zwischen mir und Blake findet jeden Abend das gleiche Spiel statt. Das Traurige daran ist, dass ich es jede Nacht geschehen lasse, obwohl ich weiß, dass das Bett neben mir am nächsten Morgen leer sein wird. Und jeden Morgen lässt seine Abwesenheit mein Herz ein kleines bisschen mehr zerbrechen. Der schlimmste Teil von alledem ist jedoch, dass ich ihm auch weiterhin Zugang zu meinem Bett und meinem Herz gewähren werde – weil ich verliebt in ihn bin. Ich liebe einen Mann, der nicht fähig ist, meine Liebe zu erwidern. Ich kann es jedes Mal in seinen Augen erkennen, wenn er mich ansieht. Seine Traurigkeit verschließt ihn. Seine Vergangenheit hält ihn im Würgegriff, so als würde der Teufel persönlich seine Hand um seinen Hals schließen. Ich kenne nicht Blakes gesamte Geschichte, aber die Bruchstücke, die über die Jahre zum Vorschein gekommen sind, reichen aus, um zu verstehen, warum er ist, wie er ist. Unsere Beziehung funktioniert, weil ich mit den Kleinigkeiten zufrieden bin, die er mit mir teilt, und nicht mehr verlange, als er zu geben bereit ist.
Zwischen Blake und mir gibt es keine Erwartungen und keine Regeln. Er ist, wer er ist, und ich bin, wer ich bin. Ich weiß, was alle anderen über uns denken. Die verstohlenen Blicke der Frauen und das wissende Grinsen der Männer sind nicht zu übersehen. Es gab auch scherzhafte Kommentare darüber, wie sich Blake nachts in mein Zimmer und wieder hinaus schleicht. Dennoch bemüht sich Blake nicht darum, es den anderen zu erklären – und ich mich auch nicht. Ich würde gern denken, dass das zwischen Blake und mir etwas Besonderes ist.
Der Mond wirft sein Licht auf mein Bett, wo Blake liegt. Sein Kopf ruht auf meinem Kissen, seine Hände auf seinem Bauch und sein Blick auf mir. Ich spiele Yesterday von den Beatles. Ich bin mir seines Blickes mehr als gewahr, während die einzelnen Noten über meine Fingerspitzen tanzen. In manchen Nächten schläft er innerhalb von Minuten ein, in anderen beobachtet er mich für Stunden. Ich wage es nicht, mit dem Spielen aufzuhören, bis sein Körper den Kampf endlich aufgibt. Egal, ob ich für zehn Minuten oder für zwei Stunden spiele, er findet so seinen Frieden.
Als ich den letzten Ton erreiche, nehme ich einen tiefen Atemzug und öffne langsam meine Augen. Ruhe breitet sich im Raum aus, und ich bemerke, dass Blake friedlich schläft. Ich bleibe für einen Moment einfach sitzen und nehme seinen Anblick in mich auf. Blake wirkt mit seinen ein Meter neunzig riesig in meinem Queensize-Bett. Sein dunkelbraunes Haar ist an den Seiten kurz geschoren, aber oben etwas länger. Die meiste Zeit ist es so zerzaust, als würde er sich dauernd mit der Hand hindurchfahren. Die meisten Jungs im Club lassen ihren Bart wachsen, Blake trägt lieber Stoppeln.
Ich stehe auf, stelle mein Cello in seinen Ständer und tapse zu meiner Seite vom Bett. Nachdem ich die Decke zurückgeschlagen habe, lege ich mich neben ihn. Meine Wange ruht auf meinem Handrücken und ich studiere wie jeden Abend sein Gesicht und streiche ihm zärtlich die dunkle Haarlocke aus der Stirn. Es gibt eine Sache, in der Blake und ich uns unterscheiden. Während er dem Schlaf hinterherjagt, bekämpfe ich ihn. Weil ich weiß, dass Blake morgen früh verschwunden sein wird.
Am nächsten Tag weiß ich bereits bevor ich meine Augen aufschlage, dass ich allein bin. Ich ignoriere den Schmerz in meiner Brust, rolle mich zur Seite und werfe einen Blick auf die Uhr. Der Morgen bricht an, die ersten Sonnenstrahlen linsen bereits durch die Vorhänge. Ich strecke meinen Arm über das Bett, berühre die Stelle, wo Blake geschlafen hat. Die Laken sind noch warm. Trotzdem lässt mich seine Abwesenheit frösteln.
Um meinen Tag nicht bereits mit einem Dämpfer zu beginnen, schiebe ich die Gedanken an Blake zur Seite und klettere aus dem Bett. Heute ist Sonntag. Das bedeutet, dass in Kürze alle auftauchen werden. Egal, wie stressig das Leben ist, Sonntage sind für den Familienbrunch reserviert. Das bedeutet, dass ich mich beeilen sollte, um Lisa in der Küche zu helfen.
„Guten Morgen, Ember“, begrüßt mich Lisa schwungvoll, während sie den Teig für die Pancakes rührt.
„Morgen.“ Ich lächle.
„Ich habe gerade eine Kanne frischen Kaffee aufgebrüht. Warum nimmst du dir nicht eine Tasse?“
„Du bist die Beste.“ Ich küsse sie auf die Wange. „Ich beginne mit den Eiern und den Würstchen.“
„Danke, Süße.“
Während ich meinen Kaffee trinke, bereite ich die Eier zu. „Wo ist Raine?“, frage ich.
Lisa blickt mich über ihre Schulter an. „Wir hatten nicht mehr viel Brot und Saft, also ist sie los, um ein paar Besorgungen zu erledigen.“
„Rieche ich hier Zimt?“ Quinn platzt in die Küche und reibt sich den Bauch. Emerson und ihre kleine Tochter Lydia folgen ihm. Emerson rollt mit den Augen. „Quinn, du hast auf dem Weg hierher drei Donuts gegessen. Und die Hälfte von Lydias Banane, die in den Fußraum des Autos gefallen ist.“ Emerson verzieht ihr Gesicht.
„Was denn?“ Quinn wirkt beleidigt. „Ich wollte nur keine Lebensmittel verschwenden.“
Emerson blinzelt. „Es klebten Haare und alte Cornflakes daran.“
Quinn grinst einfach nur und zuckt mit den Schultern, während seine Tochter kichert. Emerson schüttelt den Kopf und blickt mich an. „Und den habe ich geheiratet.“
Ich breche in Gelächter aus. „Das hast du.“
„Worüber lacht ihr alle?“ Alba spaziert mit ihrer Tochter auf der Hüfte in die Küche. Hinter ihr folgen Gabriel und seine Mini-Version, der kleine Gabe.
„Welchen blöden Scheiß hat Quinn jetzt wieder angestellt?“ Gabriel klopft seinem Bruder auf den Rücken.
„Hey, wie kommst du darauf, dass ich etwas Blödes getan habe?“, grummelt Quinn. Der verständnislose Blick, den Gabriel ihm zuwirft, sorgt dafür, dass alle noch lauter lachen.
„Wisst ihr was? Ich fühle mich nicht geliebt, also werde ich einfach dieses Zimtröllchen nehmen und mal nachschauen, was der Prez gerade so treibt.“ Er lehnt sich über Lisa hinweg und stibitzt eines der Röllchen vom Blech. Danach legt er einen dramatischen Abgang hin. Gabriel folgt ihm kopfschüttelnd.
„Braucht ihr bei irgendetwas Hilfe?“, fragt Alba.
Ich schüttle den Kopf. „Ich denke, wir haben es im Griff.“ Danach drehe ich mich lächelnd zu Lydia um. „Aber ich könnte etwas Unterstützung beim Verquirlen dieser Eier brauchen.“
„Ich! Ich! Ich! Ich kann helfen“, jauchzt Lydia. „Ich bin eine gute Verquirlerin. Ich helfe Mommy immer.“
„Perfekt. Dann kannst du meine Assistentin sein.“ Ich ziehe einen Stuhl zum Tresen und schnappe mir eine von Lisas Schürzen von dem Haken am Kühlschrank. „Die ziehen wir besser an, damit wir dein hübsches Kleid nicht schmutzig machen.“ Lydia klettert auf den Stuhl, und ich helfe ihr mit der Schürze. „Wie gut bist du im Aufschlagen von Eiern?“, frage ich.
Sie klatscht in die Hände. „Darin bin ich gut, und Daddy meint, dass bei mir auch kaum Schalen in der Schüssel landen.“
„Fein, Miss Lydia, dann lass uns Eier aufschlagen und verquirlen. Ich möchte vermeiden, dass dein Daddy Hunger bekommt.“
Lydia rümpft die Nase und sieht mich ernst an. „Aber Daddy hat immer Hunger.“
Später an diesem Vormittag sitze ich am Tisch, und mir wird bewusst, dass ich für diese Momente lebe – mit den Menschen, die ich als Familie bezeichne. Egal, durch welche Hochs und Tiefs der Club gehen muss, und egal, welche Herausforderungen uns das Leben abverlangt, das hier macht das Leben lebenswert.
Mit achtzehn begann ich, mit diesem einundzwanzigjährigen Kerl auszugehen. Wir hatten, seit wir Kinder waren, denselben Freundeskreis, und unsere Eltern waren, seit ich mich erinnern kann, befreundet. Ich war nicht verrückt nach Devan, aber ich gewöhnte mich einfach an ihn. Er war Teil meiner rebellischen Lebensphase. Kurz nach meinem siebzehnten Geburtstag fing ich an, mich aufzulehnen. Als ich achtzehn wurde, war ich bereits dreimal wegen öffentlicher Trunkenheit von der Polizei angehalten und einmal bei einer Razzia während einer Hausparty festgenommen worden. Mein Vater hat mir natürlich jedes Mal aus der Klemme geholfen. Seine Leute waren immer schon gut darin, Dinge unter den Teppich zu kehren. Gott bewahre, dass die Öffentlichkeit von meinen Abstürzen erfahren hätte. Es ging dabei auch nicht um mich, sondern um den Ruf meiner Eltern. Nicht ein einziges Mal haben sich Mom oder Dad die Zeit genommen, um sich selbst oder mich zu fragen, warum ich mich so benahm.
Ich wollte einfach nur gesehen werden. Sie sollten sich um mich kümmern. Doch ziemlich schnell war mir auch das egal. Das war der Moment, in dem das Leben Devan auf meinen Spielplan setzte. Er hatte kein Problem damit, mich mit Alkohol zu versorgen, wenn ich wollte, und er kannte die richtigen Leute, mit denen wir abhängen konnten, wenn wir uns zudröhnen wollten. Zwei Jahre lang war ich in dieser Spirale gefangen. Alles, was ich wollte, waren Partys und mit Freunden abhängen. Meine Eltern saßen mir im Nacken und verlangten von mir, etwas mit der Ausbildung anzufangen, für die ich so hart gearbeitet hatte, etwas aus mir zu machen. Aber das war nicht das, was ich wollte. Ich wollte nicht ihr Leben führen, sondern mein eigenes.
Das Ereignis, das meinen Lebensweg für immer verändern sollte, geschah in dem Sommer, in dem ich zwanzig wurde.