Sandra erkennt, dass ihre Ehe eigentlich nur noch auf dem Papier besteht. Sie nimmt sich ein paar Tage Auszeit im Wellnesshotel "Suite 6", um sich in Ruhe Gedanken über ihre Zukunft zu machen.
Doch aus der erhofften Ruhe wird nichts. Sandra lernt erst den jüngeren Studenten Lars, dann den Koch Sven kennen, und landet schneller, als sie sich versieht, im Abenteuer ihres Lebens! Doch reicht ein kurzes Abenteuer aus, um den Alltag komplett auf den Kopf zu stellen?
Abschlussband der Suite 6-Trilogie.
Layla Sommer wurde im schönen Bayern geboren, dem sie nie für lange Zeit den Rücken gekehrt hat. Sie liebt die Natur und genießt die langen Spaziergänge mit ihren Hunden. Eine weitere Leidenschaft ist das Schreiben erotischer Geschichten, mit denen sie...
Sandra duschte ausgiebig und warf sich danach aufs Bett. Eigentlich sollte sie ein schlechtes Gewissen haben, aber sie hatte es nicht. Stattdessen fühlte sie sich so gut wie schon seit Langem nicht mehr. Behaglich rekelte sie sich. Aus welchem Grund sie dennoch kein neues Treffen mit Lars ausgemacht hatte, wusste sie nicht. Ebenso wenig, warum sie plötzlich zum Hotel zurückgewollt hatte. Ihr war einfach nach ein bisschen Ruhe gewesen. Vielleicht war sie doch nicht mehr so spontan wie früher und musste das Erlebte erst einmal verarbeiten.
Sandra warf einen Blick auf die Uhr. Ihr Magen knurrte vernehmlich....
...Schließlich hatte sie seit dem kleinen Mittagsimbiss nichts mehr gegessen. Heute würde sie im Hotel speisen.
Wieder kleidete sie sich in Jeans. Allerdings entschied sie sich für ein weites Shirt, das gerade bis zum Bund der Hose reichte und von Zeit zu Zeit ein Stückchen Haut entblößte. Es wirkte sportlich, aber nicht freizügig. Vielleicht lief sie Lars ja doch noch über den Weg. Obwohl sie annahm, dass er von dem Hotel die Nase voll hatte. Außerdem fehlte ihm ein Fahrzeug, und dass er ständig so weit Radfahren wollte, bezweifelte sie. Aber auch ohne seine Gegenwart fühlte sie sich in dem lockeren Outfit wohl. Erneut nahm sie sich vor, shoppen zu gehen, um ihr äußeres Erscheinungsbild ein bisschen aufzupeppen.
Gut gelaunt lief Sandra los. Sie nahm die Treppe, anstatt mit dem Aufzug nach unten zu fahren. Doch als sie um die Ecke biegen wollte, hörte sie eine ihr mittlerweile bekannte Stimme.
„Da hätte er eben besser aufpassen müssen.“
„Du hättest dich trotzdem nicht gleich so massiv zu beschweren brauchen“, antwortete eine weibliche Stimme.
„Oh, doch. Das nächste Mal wird er sich mehr Mühe geben und nicht irgendwelchen Frauen hinterherschauen.“
Es war unüberhörbar, dass er das Gespräch gern beenden wollte.
„Er hat seinen Job verloren“, fuhr die Frau ungerührt fort.
„Interessiert dich das?“
„Verdammt, Sven! Er ist Student. Besitzt du gar kein Herz?“
„Erzähl das mal Julian. Sein Verständnis ist bestimmt auch nicht allzu groß.“
„Männer“, murmelte sie resigniert.
Der Koch lachte leise.
Sandra wartete, bis sich die Schritte entfernten. Glücklicherweise waren die beiden nicht in Richtung Treppe gelaufen. Es wäre ihr peinlich gewesen, beim Lauschen ertappt zu werden.
Obwohl … Sie hatte nicht gelauscht, sondern war lediglich auf dem Weg zum Speisesaal.
Warum machte sie sich überhaupt Gedanken?
Und doch wartete sie noch ein paar Sekunden, bevor sie weiterging.
Im Speisesaal angekommen, bediente sie sich an dem reichhaltigen Büfett. Das Essen schmeckte vorzüglich, und sie kostete von nahezu allen Gerichten, um irgendeinen Haken daran zu finden. Denn sie ärgerte sich. Ärgerte sich darüber, mit welcher Arroganz dieser Typ über Lars gesprochen hatte, und wollte sich zu gern revanchieren.
Wer war er eigentlich?
Ein Koch. Nicht mehr und nicht weniger.
Warum hatte er überhaupt die Befugnis, über andere richten zu dürfen? War das nicht die Angelegenheit eines der Hoteliers?
Dem würde sie eins auswischen …
Nur so aus Rache, damit er lernte, nachzudenken, bevor er handelte.
Genussvoll steckte sie sich das mit Lachs belegte Kanapee in den Mund. Und stutzte. Eine Gräte stach ihr unangenehm in die Wange.
Na super!
Jetzt musste sie in dem gut besuchten Speisesaal versuchen, die Gräte aus ihrem Mund zu pulen.
Wie unangenehm!
Heimlich spuckte sie in die Serviette und war froh, allein an einem Tisch zu sitzen. Schnell trank sie einen Schluck Wasser und steckte sich das nächste Kanapee, das ebenfalls mit Lachs belegt war, in ihren Mund. Wieder dasselbe. Die nächste Gräte piesackte sie. Erneut nahm Sandra ihre Serviette zur Hilfe.
Das reichte! Nun wusste sie, was zu tun war. Doch erst blickte sie sich um. Hatten vielleicht noch mehrere Gäste ein ähnliches Problem? Sah leider nicht danach aus, obwohl auf einigen Tellern Kanapees lagen. Allerdings konnte sie deren Belag nicht erkennen.
Es konnte doch nicht sein, dass nur sie zwei schlecht filetierte Fischstücke erwischt hatte. Doch selbst wenn – so etwas durfte in einer Küche nicht passieren. Besonders nicht unter der Leitung eines Kochs, der ein Missgeschick von anderen nicht akzeptieren konnte.
Eine Kellnerin betrat mit einem voll beladenen Tablett den Raum.
Das war die Gelegenheit!
Sandra stand auf, fasste ihren Teller mit der Serviette und eilte auf die junge Frau zu.
„Ich möchte mit dem Küchenchef sprechen“, sagte sie leise, aber bestimmt. Sie wollte sich zwar beschweren, aber keinen Aufstand vor den anderen Gästen hinlegen.
„Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte die Bedienung unsicher.
„Wenn Sie Kanapees anbieten, sollte der Fisch darauf grätenlos sein.“
„Das ist er.“
„Nein, ich hatte zwei Gräten auf zwei verschiedenen Brotstücken.“
„Das kann nicht sein.“
„Soll ich es Ihnen zeigen?“ Sandra fasste nach der zusammengeknüllten Serviette.
„Nein“, stotterte das Mädchen. „Ich werde es ausrichten.“
Kein persönliches Gespräch? Schade! Sie hätte dem Koch zu gern persönlich die Meinung gesagt.
Sandra reichte der Bedienung den Teller und lief mit hocherhobenem Kopf zurück an ihren Platz. Dann wartete sie. Der Appetit war ihr erst mal vergangen.
Ob es ein Fehler gewesen war, dass sie ihren Unmut an der Bedienung ausgelassen hatte?
Schließlich konnte die junge Frau nichts für das Missgeschick in der Küche. Sie wusste das und hatte sie trotzdem nicht besonders höflich behandelt. Vielleicht hätte sie einfach schweigen sollen. Doch dann dachte sie an Lars, der des Kochs wegen den Job verloren hatte.
Was eigentlich nicht dein Problem ist, flüsterte ein Stimmchen in ihrem Kopf.
Sven blickte überrascht auf, als Marie mit hochroten Wangen in die Küche stürmte. In der Hand hielt sie nur einen schmutzigen Teller anstatt eines mit Geschirr beladenen Tabletts. Er sah ihr sofort an, dass etwas nicht stimmte.
„Was ist los?“, fragte er.
„Im Lachs sind Gräten“, stammelte sie und stellte den Teller vor ihm ab.
Sven warf Leon einen fragenden Blick zu, doch der schaute schuldbewusst zur Seite. Zwar war Leon noch in der Ausbildung, aber er musste endlich lernen, dass Schludrigkeit im Beruf vollkommen fehl am Platz war. Er würde ein ernstes Wort mit ihm reden müssen. Nicht das erste in den vergangenen Wochen. Sie konnten sich nach der Misere von gestern Abend keine erneuten Fehltritte erlauben. Und dazu zählte selbstverständlich auch das schlechte Filetieren eines Fisches.
„Wie viele Gäste haben sich beschwert?“, erkundigte er sich, um sich einen Überblick zu verschaffen.
„Nur eine Frau, aber …“
Maries Wangen glühten immer noch.
„Sie war ziemlich ungehalten, oder?“
„Ja.“ Marie blinzelte. Anscheinend hatte ihr das Gespräch mit der Frau ziemlich zugesetzt. „Ich konnte doch nichts dafür.“
„Natürlich nicht.“ Sven überlegte. „Wir müssen den Fisch zurückholen.“
„Ich habe schon nachgesehen. Es ist keiner mehr auf der Anrichte.“
„Dann ist es gut.“
„Sie wollte mir die Gräten in der zerknüllten Serviette zeigen.“ Marie war ganz blass um die Nase.
Er musste schmunzeln. „Bist du dir sicher, dass wirklich kein Lachs mehr ausliegt?“
Sie nickte. „Ich denke schon.“
„Wir schauen zur Sicherheit noch einmal nach. Okay?“
Wieder nickte Marie und schritt gehorsam neben ihm her.
An der Tür zum Speisesaal blieb er stehen. Die Fischplatten waren geleert, ebenso gab es keine Kanapees mehr. Er verkniff sich ein Seufzen. Natürlich war es gut, dass der Lachs keinen weiteren Schaden angerichtet hatte, aber die Lücken auf der Anrichte hätten längst wieder gefüllt werden müssen. Trotzdem rügte er die zartbesaitete Marie nicht. Manchmal fragte er sich allerdings, ob er seine Angestellten falsch behandelte. Leon arbeitete ständig unzuverlässig, und Marie brach beim leichtesten Windhauch in Tränen aus.
„Da hinten sitzt sie“, flüsterte Marie plötzlich.
Neugierig blickte er sich um.
„Jetzt steht sie auf.“
„Welche ist es?“
„Die mit dem schulterlangen Haar und dem kurzen Shirt.“
Sven hustete.
Nein! Nicht sie! Lars’ Geliebte. Was für ein Zufall!
Zufall? Nein, das kaufte er ihr nicht ab. Und er würde es ihr nicht durchgehen lassen, dass sie seine Angestellte unhöflich behandelt hatte. Bei jedem anderen Gast hätte er sich wegen der Fischgräten sofort entschuldigt, aber sie war ihm gestern ziemlich aufmüpfig gegenübergetreten. Er würde mit ihr sprechen, aber nicht jetzt und schon gar nicht im gut gefüllten Speisesaal.
„Jetzt schau aber, dass die Gäste etwas zu essen bekommen“, wies er Marie an, doch die reagierte nicht. „Nachfüllen“, knurrte er.
Da kam endlich Bewegung in die junge Frau und sie eilte in die Küche.
Sven richtete zügig den Nachtisch her und ordnete an, ihn in den Speisesaal zu bringen.
Jetzt konnte er sich ein wenig Zeit nehmen. Das Reinigen der Küche überließ er seinen Angestellten. Eigentlich hätte er nun nach Hause gehen können, aber er schloss immer persönlich ab und überzeugte sich davon, dass alles sauber hinterlassen wurde. Meist überprüfte er abends noch einmal den Bestand und schaute, ob für den nächsten Tag alles vorbereitet war. Nur Sina, mit der er früher bereits zusammengearbeitet hatte, besaß einen Zweitschlüssel für die Küche. Sie war auch diejenige, die vormittags aufschloss und das Frühstücksbüfett anrichtete. Und sie war damit die einzige Kraft, der er wirklich vertraute.
Sven ging in die Umkleide, die von der Küche aus zu erreichen war, und betrat die kleine Dusche, um den Essensgeruch zu vertreiben, der ständig an ihm klebte. Dann zog er sich alltagstauglich an und überlegte, wo er Lars’ Geliebte wohl finden könnte. Vielleicht war sie mit dem Studenten unterwegs. Er vermutete, dass sie zu Marie nur deswegen so unhöflich gewesen war, weil sie sich wegen Lars’ Kündigung an ihm rächen wollte.
Aber wusste sie überhaupt, wer er war?
Wahrscheinlich nicht, aber die Möglichkeit war groß, dass Lars ihr erzählt hatte, dass er seinen Job wegen der Beschwerde des Küchenchefs verloren hatte.
Sven verließ das Hotel und lief Richtung See. Ein Gefühl sagte ihm, dass sie sich nicht zu den anderen Gästen auf die gut gefüllte Terrasse begeben hatte und auch nicht allein auf dem Zimmer sitzen würde. Und die Pools waren zwar beheizt, aber die abendlichen Temperaturen sanken mittlerweile so sehr, dass nur Hartgesottene um diese Uhrzeit noch schwimmen gingen.
Tief atmete er durch. Er mochte die Kühle des nahenden Herbstes. Ebenso wie er die Landschaft in dieser Gegend liebte. In dem Moment entdeckte er die Frau, die auf dem Steg saß und ihre Füße ins Wasser baumeln ließ.
Sandra war froh, als sie den Speisesaal verlassen konnte. Sie hätte nicht so garstig sein sollen. Die Bedienung konnte schließlich nichts dafür, dass sie sich über das Verhalten ihres Chefs ärgerte. Auf ihr Handy hatte sie wegen der Essensbeanstandung nicht mehr geschaut.
Oder redete sie sich da gar etwas ein, indem sie die Aufregung im Speisesaal vorschob?
Zwar konnte Lars den Lieferwagen nicht länger nutzen, aber sie hätte sich nur in ihr Auto setzen müssen, um zu ihm zu fahren. Doch ihr war nicht danach. Das gestrige Hochgefühl war im Laufe des Tages wieder etwas abgeflaut. Jetzt wollte sie ihren Kurzurlaub gern so verbringen, wie sie es vorgehabt hatte. In Ruhe und ganz entspannt.
Der Mond ging gerade auf. In ein oder zwei Stunden würde er sein silbernes Licht auf das Wasser des Sees werfen. Vielleicht würde sie so lange hierbleiben, um die friedliche Stimmung zu genießen. Zu sich selbst finden, nannte sie es. Im Gegensatz zu Carsten, der es als faul herumsitzen bezeichnen würde.
Sandra setzte sich an den Rand des Stegs und ließ ihre Beine ins Wasser baumeln.
Eigentlich hatte sie nur ein wenig Abstand zu ihrer Ehe finden wollen, doch immer mehr reifte der Wunsch in ihr heran, ihren Mann zu verlassen. Sie wollte frei sein und wieder selbstüber ihr Leben bestimmen können.
Ein Räuspern. Direkt hinter ihr. Über ihr.
Sandra fuhr herum.
Da stand er. Der Kerl, der sich über Lars beschwert hatte. Der Typ von gestern Abend. Der Koch aus dem Hotel.
„Es gab eine Beanstandung wegen des Essens.“ Er wirkte schon groß, wenn sie vor ihm stand, doch nun saß sie ihm zu Füßen, was ihn riesig erscheinen ließ.
Schlechte Position, fuhr es ihr durch den Kopf.
„Es waren Gräten im Fisch“, entgegnete sie, und im selben Moment wurde ihr bewusst, dass sie damit beinahe zugab, ihn als Koch zu kennen.
Woher wusste er überhaupt, dass sie es gewesen war, die sich beschwert hatte?
„Seltsamerweise nur bei Ihnen.“