Undercover Lover

Erschienen: 06/2013

Genre: Contemporary Romance, Romantic Thrill
Zusätzlich: Dominanz & Unterwerfung, Krimi
Seitenanzahl: 200 (Übergröße)


Erhältlich als:
paperback & ebook

ISBN:
Print: 978-3-93828-186-4
ebook: 978-3-86495-065-0

Preis:
Print: 14,90 €[D]
ebook: 6,99 €[D]

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Undercover Lover


Inhaltsangabe

Kaylin Delany führt mit ihrem Bruder Eric die irische Bar „Tristans“ sowie einen Nachtclub. Trotz des hohen Kredits für den Nachtclub laufen die Geschäfte gut und alles scheint in Ordnung zu sein.
Zwischen Kaylin und dem Polizisten Nevin Seymoore ist es hingegen weniger in Ordnung: Die beiden fühlen sich zueinander hingezogen, leben gemeinsam sexuelle Fantasien aus - doch sein Job steht zwischen einer festen Beziehung. Nevin ist ein Undercoverpolizist und muss zu viele Geheimnisse hüten, die er für zu gefährlich hält, um sich ernsthaft mit Kaylin einzulassen.
Eines Tages wird Eric erschossen und Kaylins Welt steht Kopf! Sie findet heraus, dass Eric spielsüchtig war und sich mit den falschen Typen angelegt hatte. Alles scheint den Bach runterzugehen und Kaylin steht an einem Punkt in ihrem Leben, an dem sie verwundbarer denn je ist.
Genau in diesem Moment tritt der ebenso geheimnisvolle wie attraktive Ciaran in ihr Leben, und die eigentlich bodenständige Irin verliert sich zwischen ihrer Liebe zu Nevin und sexueller Hörigkeit zu Ciaran in einem Strudel aus Kriminalität und Gefahr und riskiert dabei sogar ihr eigenes Leben.

Über die Autorin

Jazz Winter schreibt erotische Kopfkinos und genießt die breite Palette, die das erotische Wort zu bieten hat. Mit ihren romantischen BDSM-Romanen schafft sie es, zu überzeugen und zu begeistern. Sie genießt den Kontakt zu ihren Lesern und bemüht sich, neben...

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Leseprobe

„Geh endlich!“
Eric stand im Türrahmen des kleinen Büros und zwinkerte ihr zu. Kaylin seufzte, fühlte sich erledigt, denn der Tag war lang und anstrengend gewesen. Sie räumte die letzten Gläser von den Tischen und stellte sie auf der Theke ab. Eric folgte ihr, zog sie in seine Arme und küsste ihr schwarzes Haar.
„Hau ab, Schwester! Den Rest schaffen Tara und ich allein.“
Er nahm ihr das Spültuch aus der Hand, legte den Gurt der Handtasche über ihre Schulter und schubste sie Richtung Barausgang. Kaylin blieb an der Tür stehen und betrachtete ihren Bruder und ihre Freundin. Tara tat...

...ganz beschäftigt mit dem Polieren der Weingläser, doch es war offensichtlich, dass sie mit Eric allein sein wollte. Eric gab seiner Schwester unmissverständliche Zeichen mit den Augen. Sie hob entwaffnet ihre Hände und lächelte wissend.
„Schon gut, ich geh schon. Tut nichts, was ich nicht auch tun würde.“
Sie verließ das Tristans, das seit Generationen im Besitz ihrer Familie war. Die Delanys hatten es seit jeher verstanden, gutes Essen mit guter Livemusik anzubieten. Doch erst Kaylin und ihr Bruder Eric setzten die lang gehegten Pläne, die Bar um einem Nachtclub zu erweitern, kurz nach dem Tod ihrer Eltern um. Während Eric sich um die finanziellen Belange der Bar kümmerte, stand Kaylin jeden Tag bis in die Nacht hinein hinter der Theke, delegierte die Angestellten, kümmerte sich um die Bands und das Wohl der Gäste. Die Bar war bei jungen und alten, reichen und normalsterblichen Gästen beliebt.
Sie gähnte herzhaft und atmete die frische Nachtluft von Miami ein. Kaum fiel die Tür hinter ihr zu, erlosch auch das Reklameschild, das einst ihr Großvater Tristan Delany eigenhändig an der Stirnseite angebracht hatte.
„Langer Tag?“
Sie wusste, wem die Stimme gehörte. Olec kam jede Nacht um diese Uhrzeit an der Bar vorbei, wenn er die Zeitungen austrug. Kaylin hob lächelnd ihre Hand und machte sich auf den Weg zu ihrem Wagen.
„Wie immer.“
„Na dann, schlaf gut.“
„Und lass du dich nicht von Fremden ansprechen.“
Olec zog die Mütze tiefer in die Stirn, trat in die Pedale und radelte lachend weiter. Kaylin stieg gerade in ihren Van, als sich ihr Handy summend mit einer SMS meldete.
Müde?
Schmunzelnd betrachtete sie dieses eine Wort auf dem Display. Sie antwortete.
Kaum!
Die Fahrt nach Hause ging schnell. Nur wenige Nachtschwärmer schienen noch unterwegs zu sein, und die grüne Welle an den Ampeln kam ihr gerade recht. Sie parkte schließlich vor dem Apartmentkomplex am Rande der Stadt und stieg in den Lift. Als hinter ihr die Wohnungstür zufiel, kickte sie die Schuhe von den Füßen und ließ die Handtasche einfach fallen. Die heiße Dusche spülte den stressigen Tag weg und entspannte ihre verkrampften Muskeln. Barfuß und nur in ein Badetuch gewickelt, ging sie anschließend zum Kühlschrank, holte ein Wasser heraus und trank direkt aus der Flasche. Hinter ihr knackte der Dielenboden und Kaylin schloss die Augen. Eine Hand legte sich fest auf ihren Mund und die kalte Klinge an ihrem Hals, ließ sie den Atem anhalten.
„Du wirst nicht schreien! Du wirst nicht weglaufen! Du wirst tun, was ich dir sage, verstanden?“
Mit aufgerissenen Augen nickte sie. Ihr Herz schlug schneller, und ein Schauder kribbelte ihren Rücken hinunter. Das Flüstern ganz dicht an ihrer Wange klang düster und bedrohlich. Der Atem floss heiß über ihre Haut.
„Ich werde jetzt meine Hand wegnehmen. Wenn du schreist …“
Er beendete den Satz nicht, sondern hob die glänzende Schneide des Klappmessers an, damit sie es deutlich sehen konnte. Wieder nickte sie, und seine Finger lösten sich langsam von ihrem Mund. Stattdessen packte er ihren Nacken, schob sie vor sich her durch die Tür ihres Schlafzimmers, bis ihre Knie gegen das Bett stießen.
„Leg das Handtuch ab.“
Zögernd hob sie ihre Hände.
„Mach schon.“
Er wurde ungeduldig, und das Badetuch fiel zu Boden. Schweigend betrachtete er sie. Seine Fingerspitzen auf ihrem Rücken verstärkten das Zittern ihres Körpers.
„Du wirst jetzt sehr nett zu mir sein. Wenn nicht, mach ich dich kalt.“
Kaylin spürte seine Nähe, seine Wärme und seine Bedrohung deutlich hinter sich. Jede Faser ihres Körpers war angespannt.
„Versuch nichts Dummes.“
Er legte ihr einen Schal über die Augen und knotete ihn am Hinterkopf fest zu.
„Dreh dich um.“
Ihre Brustwarzen zogen sich zusammen. Die Gänsehaut breitete sich wie ein Lauffeuer aus, und ihre Atmung stockte.
„Hübsch!“
Trotz des Flüsterns klang er höhnisch, überheblich und selbstgefällig. Der kalte Stahl zog eine sanfte Linie zwischen ihren Brüsten bis hinunter zu ihrem Bauchnabel. Er hielt inne, genoss ihren Anblick und trat näher. Seine Fingerspitzen zeichneten ihre Lippen entlang, schoben sich in ihren Mund und glitten darin ein und aus. Die feuchten Kuppen strichen an ihrem Hals hinab und umkreisten ihre linke Brustwarze. Als er hinein kniff, verzog sie vor Schmerz ihr Gesicht. Das Gleiche geschah, als er sich ihrer rechten Knospe widmete. Kaylin biss sich auf die Unterlippe.
„Das gefällt mir. Mal sehen, ob es dir ebenso Spaß macht.“
Sie konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. Mit leisem Entsetzen stieß Kaylin einen Laut aus, wagte es jedoch nicht zu widersprechen. Seine Finger glitten tiefer, kraulten ihr gestutztes dunkles Dreieck über dem Schambein. Sie hielt den Atem an und senkte ihren Kopf. Ihr Körper reagierte. Sie bemerkte die Hitze zwischen ihren Schenkeln, und er würde ebenfalls bald wissen, dass sie feucht war. Kaylin wandte beschämt ihren Kopf zur Seite, doch der Mann griff grob nach ihrem Kinn, zog ihn zurück und leckte gierig über ihre halb geöffneten Lippen. Das Pulsieren ihrer Scham nahm zu, je länger er wartete. Die Stille im Raum schien bleischwer.
„Ich weiß, was in dir vorgeht.“
Sein höhnisches Lachen demütigte sie. Ihre Hände zuckten vor, als er seine Finger nur minimal tiefer bewegte, und griffen nach seinem Gelenk.
„Muss ich dich erst fesseln, um dir zu zeigen, wohin deine Hände gehören?“
Kaylin schüttelte den Kopf, keuchte heiser und ließ zögerlich von ihm ab.
„Braves Mädchen.“
Langsam verschränkte sie ihre Arme hinter dem Rücken, umklammerte die eigenen Ellbogen und rang nach Atem. Ein leiser Schrei entfuhr ihrer Kehle, als seine Zähne sich in ihrem Hals vergruben und gleichzeitig seine Fingerkuppen zwischen ihre Schamlippen glitten. Besänftigend leckte seine Zunge die gebissene Stelle entlang, und Kaylin seufzte.
„Du bist erregt, das macht mich an. Ich wusste doch, hier bin ich an der richtigen Adresse.“
Er rieb den feuchten Spalt entlang, entlockte ihr ein weiteres Stöhnen und drang unvermittelt mit zwei Fingern in sie ein. Sein Atem roch nach Pfefferminz, und das Messer in seiner Hand stieß bei jeder Bewegung gegen die Innenseite ihres Schenkels.
„Was würde wohl geschehen, wenn ich die Finger gegen die Klinge tausche? Mh?“
Der Hohn traf sie unvermittelt und tief, schürte ihre Panik davor, dass er seinen Worten Taten folgen lassen würde. Es war absurd, aber die Tatsache, dass er sie erregte, dass der Moment mit ihm hier in ihrer Wohnung ihr Lust verschaffte, war beängstigend und sinnlich zugleich.
„Wenn du brav bist, lass ich dir vielleicht dein Leben.“
Seine Finger bewegten sich langsam und quälend in ihrem Schoß. Sie bemühte sich, nicht zu laut zu stöhnen, doch ihre Hüften drängten sich seinem Fingerspiel lüstern entgegen. Der Mann entzog ihr die Hand, als sie kurz davor stand zu kommen. Enttäuscht keuchte sie, tastete nach seinem Körper, weil ihre Beine sie kaum mehr tragen konnten. Mit ihren Fingerspitzen berührte sie kräftige Brustmuskeln, die sich unter einem dünnen, eng anliegenden Shirt deutlich abzeichneten. Sein muskulöser Arm schlang sich um ihre schlanke Taille, zog sie an sich. Ein gieriges Knurren drang aus seiner Kehle, und sein Kuss brannte auf ihren Lippen. An ihrem Bauch spürte sie seine Erregung. Hart, zuckend und prall drängte sich sein Schwanz gegen die Enge seiner Hose. Er rieb sich an ihr, keuchte lustvoll.
„Ich will deine Lippen spüren.“
Sie erschauderte, als er sie an den Schultern in die Knie zwang. Sein Gürtel klirrte leise, und Stoff raschelte. Ihrem visuellen Sinn beraubt, schien ihr Gehör noch feiner zu reagieren. Ihre Finger tasteten an den kräftigen Schenkeln empor, bis sie seinen Schaft zu fassen bekam. Er beugte sich über sie, umschloss mit seiner Hand ihr Kinn und hob es zu sich empor.
„Ich warne dich. Wenn du zubeißt, wirst du es bitter bereuen.“
Seine Eichel stieß prall und saftig gegen ihre Lippen und erstickte die Erwiderung, die ihr auf der Zunge lag. Stöhnend drang er in ihre feuchte Mundhöhle ein und umschloss mit beiden Händen ihren Kopf. Ihre Zunge glitt an der Unterseite seines Geschlechts entlang. Sie saugte sacht, und wenn er sich von ihr zurückzog, leckte sie Kreise über seine Spitze. Kaylin schmeckte seine herb-süße Erregung und bemühte sich, ihn immer tiefer in sich aufzunehmen. Behutsam umschloss sie mit ihren Fingern seine Hoden, massierte sie zusätzlich und lauschte seinem lustvollen Stöhnen.
„Das reicht!“
Er schob ihren Kopf zur Seite, doch sie fühlte, dass es ihm unendlich schwerfiel. Hustend umklammerte sie sein Handgelenk, als er ihre Kehle mit einer Hand umschloss und Kaylin emporzog. Er lachte grimmig.
„Und jetzt bist du dran.“
Dann gab er ihr einen heftigen Stoß und ließ Kaylin los. Sie schrie im freien Fall, doch landete weich auf ihrem eigenen Bett. Sofort war er über ihr, zwang ihre Schenkel auseinander, und als sie ihre Hände gegen seine Brust stemmte, hielt er ihr das Messer abermals an den Hals. Sie zitterte am ganzen Leib, rang nach Atem und wandte ihren Kopf ab.
„Bitte nicht.“
Sie erntete nur ein heiseres erregtes Schnauben. Sie wehrte sich, presste ihre Beine fest zusammen, doch er war stärker, drängte seine Knie dazwischen, und die Klinge an ihrer Kehle unterband auch die letzte Gegenwehr in ihr.
„Nein.“
„Oh doch.“
Jeder Muskel in ihrem Körper versteifte sich.
„Entspann dich, Schätzchen, es ist gar nicht so übel.“
Seine Schwanzspitze presste gegen ihre Öffnung, und ihre Nässe ließ ihn ungehindert eindringen. Er keuchte an ihrem Ohr.
„Verdammt, das ist heiß.“
In ihrem Kopf drehte sich alles, und je tiefer er in sie glitt, desto lustvoller füllte er sie, dehnte sie und entlockte ihr ein leises Seufzen.
„Du kannst dich dagegen auflehnen, aber ich weiß genau, was du jetzt brauchst.“
Seine Worte vögelten ihren Verstand, und sein Geschlecht stieß in ihren Schoß. Er nahm sie kraftvoll und hart. Das Bett unter ihnen quietschte und ächzte, das Geräusch mischte sich mit seinem Stöhnen und ihren spitzen lustvollen Schreien. Mit jedem weiteren Stoß wich ihre Gegenwehr, bis sie ihm die Fingernägel leidenschaftlich in den Rücken bohrte und ihn an sich zog. Seine Hand schlang sich abermals um ihren Hals, machte es schwer für sie zu atmen, doch je weiter sie sich ihrem Höhepunkt näherte, desto intensiver wurden die Empfindungen. Kurz bevor sie kam, drückte er zu, bewusst, kontrolliert, und er bewegte sich langsamer in ihr. Sie wusste, er beobachtete sie. Kaylin packte sein Handgelenk und wehrte sich gegen die drohende Erstickung. Sie hörte ihr Blut rauschen, driftete langsam in den Schwebezustand, kurz bevor die Bewusstlosigkeit eintrat. Er steigerte das Tempo erneut, stieß kraftvoll zu, und sie explodierte unter ihm mit einer solchen Gewalt, dass sie nicht einmal mehr schreien konnte, selbst wenn sie dazu in der Lage gewesen wäre. Es war wie Fliegen, als ob sie über eine Klippe springen würde, ohne zu wissen, wo und wie sie landen würde. So intensiv und berauschend, so spektakulär und beängstigend zugleich, und plötzlich wurde es still, sonderbar wohltuend und sinnlich still. Kaylin lag da, bemerkte die Härte, mit der er sich noch immer in ihr bewegte und sich dann köstlich zuckend in ihr entlud. Sein animalisches Knurren wirkte wie aus der Ferne kommend. Es dauerte eine Weile, bis sie wieder Herrin ihrer Sinne war und lächelte.
„Verdammt!“
Er lag neben ihr und lachte atemlos.
„Du nimmst mir das Wort aus dem Mund. War es so, wie du es dir vorgestellt hast?“
„Besser!“
„Warte, ich helf dir.“
Ihre Hände zitterten zu sehr, um den Knoten an ihrem Hinterkopf selbst zu lösen. Sie blinzelte, als er ihr den Schal von den Augen nahm, und blickte den Mann neben sich an.
„Ich muss los.“
„Noch nicht.“
Kaylin kuschelte sich in seinen Arm und seufzte leise. So war es immer zwischen ihnen. Nevin Seymoore war … Es war schwer zu definieren, was da zwischen ihnen wirklich lief. Es war mehr als Freundschaft, aber eine Beziehung konnte man es auch nicht nennen. In einem Fitnessstudio in der Stadt hatten sie sich kennengelernt, und zwischen ihnen knisterte es zu sehr, um dem Verlangen nicht nachzugeben. Ihr E-Mail-Kontakt war rege und wurde schnell intimer. Sie schrieben sich gegenseitig ihre geheimsten Fantasien, und Nevin reizte die Idee, manches davon real werden zu lassen. Er war dominant, sie gern devot, und im Grunde passte alles, doch sein Job stand einer festen Bindung im Weg. Er war Polizist in einer Sondereinheit, arbeitete hart und erfolgreich. Doch er sprach selten über seine Fälle, vor allem nie über aktuelle Einsätze. Er kam und ging, und sie genoss jeden Moment mit ihm. Wenn er sich tagelang nicht meldete, machte sie sich Sorgen, allerdings tauchte er dann doch wieder auf, überraschte sie, wie heute Nacht, oder stand mit Pizza und Rotwein zum Reden vor der Tür. Über Liebe sprachen sie nie, aber lange konnten sie ohne einander auch nicht sein. Tara nannte es eine Fickfreundschaft. Kaylin gefiel das Wort nicht, auch wenn es in mancher Hinsicht den Nagel auf den Kopf traf.
Sie legte ihr Kinn auf seine Brust und betrachtete sein Gesicht. Eine dicke Narbe schlängelte sich auf der rechten Seite seines Halses bis hinunter zu seiner Schulter. Sie stammte von einer Messerstecherei, die er in seiner Zeit als Streifenpolizist schlichten wollte. Einige alte Schusswunden verteilten sich ebenfalls auf diesem herrlichen durchtrainierten Körper, und jede besaß eine eigene Geschichte. Ebenso die Brandnarbe auf seinem linken Oberschenkel, die daran erinnerte, dass er einem Kind das Leben gerettet hatte. Kaylin seufzte erneut wohlig auf. Da lag ein vierunddreißigjähriger Held in ihrem Bett neben ihr. Einhundertneunzig Zentimeter geballte Männlichkeit mit sexy Dreitagebart und den schönsten grünen Augen, die sie je gesehen hatte und in denen sie sich hoffnungslos verlieren konnte. Kaylin liebte besonders die kleinen Lachfältchen an seinen Augenwinkeln.
„Hast du wenigstens schon etwas gegessen?“
Widerwillig klammerte sie sich an seinem Oberkörper fest, als Nevin es wagte, sich zu bewegen.
„Ich hab dich etwas gefragt, Frau? Du arbeitest zu viel und isst zu wenig. Dabei kenn ich Taras Kochkünste.“
„Ich will einfach nur hier liegen und dich riechen.“
Er lachte leise und schob sie sanft von sich, um aufzustehen.
„Ich muss wirklich los, aber vorher mach ich dir noch ein Sandwich, damit du mir nicht vom Fleisch fällst.“
Sie blieb kraftlos liegen und sah zu, wie er seine dunkle Cargohose wieder schloss, das enge weiße Shirt überzog und in die Küche ging.
„Komm sofort wieder zurück.“
„Ich kann nicht.“
„Hör sofort damit auf, und komm wieder her.“
„Mach es mir nicht so schwer. Ich arbeite an einem Fall.“
„Ich weiß.“
Kaylin drehte sich auf den Rücken und starrte zur Zimmerdecke empor. Sie setzte sich auf, als er mit dem angekündigten Sandwich zurückkehrte. Seine Fürsorge rührte sie.
„Aufessen, verstanden?“
Herzhaft biss sie hinein und nickte gehorsam. Auch wenn er lächelte, er meinte, was er sagte. Nevin beugte sich über sie, küsste ihre rechte Schläfe und drehte sich am Türrahmen noch einmal zu ihr um.
„Schlaf gut.“
Er zwinkerte ihr zu, und Kaylin sah ihm schweigend hinterher, als er ging. Nachdem sie hörte, wie sich die Wohnungstür leise hinter ihm schloss, legte sie das Sandwich beiseite, zog den Laptop unter ihrem Bett hervor und schaltete ihn ein. Summend meldete sich ihr Handy, und auf dem Display las sie die Nachricht.
Schreib mir morgen. Jetzt iss endlich und geh schlafen. Nevin
Konnte er etwa Gedanken lesen? Schmunzelnd klappte sie den Computer wieder zu.
„Ist ja schon gut.“

Kapitel 2

Der Wecker klingelte gegen zwölf, aber Kaylin lag bereits wach da. Sie starrte auf einen Strauß Margeriten in einer Vase. Die Blumen dekorierten ein Tablett mit Kaffeekanne, Tasse und frischen Croissants. Auf dem Teller lag ein Zettel mit Nevins Handschrift. Seit einer halben Stunde stand sein Guten-Tag-Gruß neben ihr auf dem breiten Bett.
Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit am Tag!
Sie konnte sich einfach nicht daran sattsehen und genoss das Gefühl, wie ihr Herz einen Takt schneller schlug. Nevin musste wohl am Morgen noch einmal zurückgekehrt sein und sie bedauerte, dass er sie nicht geweckt hatte. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass Frühstück bei ihr stets zu kurz kam. Sie würde aufstehen, duschen und sich für die Arbeit fertig machen. Danach würde sie eine schnelle Tasse Kaffee im Stehen trinken und dann zum Tristans fahren. Bei dem Stress auf der Arbeit gab es höchstens mal einen schnellen Snack zwischendurch.
Sie griff nach ihrem Telefon. Es war Zeit, Tara zu wecken, die gern ihren Wecker überhörte.
„Hey, bist du wach?“
„Wer ist da?“
Kaylin legte die Stirn in Falten, denn die Stimme am anderen Ende der Leitung gehörte nicht ihrer besten Freundin.
„Ist das nicht der Anschluss von Tara Harris?“
„Tara wer?“
Die Frau klang außer Atem, und Kaylin wollte gerade auflegen, als Tara sich meldete.
„Sweets, bist du es?“
„Äh, jupp. Störe ich dich gerade?“
Im Hintergrund hörte sie erneut die Frau fragen, wer Tara sei.
„Ich bin Tara, Honey, nicht denken … weitermachen.“
Kaylin klappte der Mund auf und sie starrte den Hörer in ihrer Hand an.
„Du hast nicht gerade Sex oder doch?“
„Oh, uh, ja, das ist genau die Stelle, mh …“
„Tara?“
„Ja?“
„Vergiss es, beeil dich oder … ach, was auch immer, ich hol dich um eins ab.“
„Mh, ja, so ist es gut … okay, Sweets, bis nachher …“
Sie legte auf, schüttelte den Kopf, um das aufkeimende Kopfkino loszuwerden, und sank zurück in die Kissen. Tara hatte ihre bisexuelle Neigung erst vor Kurzem entdeckt, und nun reihten sich neben unzähligen Männern auch noch Frauen in die „Schlampenchronik“ ein, wie Tara selbst es gern nannte. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. An ihrem achtzehnten Geburtstag hatte sie sich diesem Lebensmotto verschrieben und geschworen es bis zum Ende ihrer Tage durchzuziehen. Und damit waren garantiert nicht die Wechseljahre gemeint. Nach dem Augenzwinkern ihres Bruders in der Nacht zuvor, hatte Kaylin eigentlich damit gerechnet, dass Tara die Nacht mit ihm verbringen würde. Die On/Off-Affäre der beiden lief schon eine geraume Zeit.
Zu Beginn hatte Kaylin einige Probleme gehabt, dass ihr kleiner Bruder mit ihrer besten Freundin schlief, mittlerweile hatte sie sich allerdings damit abgefunden. Mal trieben sie es wie die Karnickel, und dann gab es Zeiten, in denen sie sich gegenseitig nicht mal mehr mit dem Hintern ansahen. Im Grunde waren sie wie Feuer und Wasser, zwei hitzköpfige Iren, bei denen man als Außenstehender glauben könnte, sie hassten sich aus tiefstem Herzen. Doch je leidenschaftlicher sie sich stritten, desto hemmungsloser schien der Sex.
Abermals schüttelte Kaylin den Kopf. Das waren keine guten Morgengedanken. Sie hatte es gar nicht so genau wissen wollen, aber Tara erzählte ständig bis ins kleinste Detail davon, ob man es hören wollte oder nicht.
Sie stand seufzend auf und war gerade auf dem Weg ins Bad, als ihr Telefon läutete.
„Delany?“
„Hast du mich eben gefragt, ob ich gerade Sex habe?“
„Tara, ich will es gar nicht wissen.“
„Susi ist eine Masseuse.“
„Seit wann lässt du dich von einer … nein, das will ich auch nicht wissen. Und heißt das nicht Masseurin? Ist ja auch egal. Erspar mir die Details.“
„Sie hat meinen Rücken bearbeitet. Himmel, für wie sexgierig hältst du mich eigentlich?“
Mit dem schnurlosen Telefon wanderte Kaylin ins Bad, gab Zahnpasta auf ihre Bürste und putzte sich die Zähne.
„Wasch glaubscht du?“
„Okay, ich versteh schon, du hältst mich für ein verdorbenes Luder!“
„Dasch hascht du geschagt.“
Sie verschluckte sich und spuckte hustend aus.
„Dein Bruder ist wirklich nicht übel im Bett. Wusstest du, dass er mit seiner Zunge …“
„TARA!“
„Was denn? Du bist doch sonst nicht so prüde.“
„Eric ist mein Bruder, und ich will nicht hören, was er Akrobatisches mit seiner Zunge anstellen kann, okay?“
„Na gut, aber was ich eigentlich sagen wollte: Er ist wirklich nicht übel, aber so eine kleine saftige Pussy ist was …“
„Oh bitte, hab Erbarmen. Ich bin gerade erst aufgestanden, und solche Gespräche sind am frühen Morgen einfach Gift für mich.“
Kaylin blieb vor dem Kleiderschrank stehen und suchte sich ein Outfit zusammen.
„Was ist das eigentlich zwischen euch? Sie hassten und sie liebten sich?“
„Ha, klingt wie ein guter Filmtitel, Sweets! Eher Freddy versus Predator … Ich mag ihn, aber er ist eben, wie kleine Brüder nun mal sein können: Nervensägen. Aber du musst gerade reden, was macht dein Fickfreund?“
Kaylin rollte mit den Augen, schaltete den Lautsprecher des Telefons ein, lege es in Hörweite und zog sich an.
„Nenn ihn nicht so.“
„Wie sonst? Bester Freund mit Extras? Himmel, Sweets, wann kommt der Mann endlich in die Puschen und macht Nägel mit Köpfen?“
Sie gab ihr keine Antwort darauf und kehrte mit dem Telefon ins Bad zurück, um sich zu schminken.
„Diese Reaktion habe ich erwartet. Keine Antwort ist auch eine. Ah, lass mich raten, Nevin hat gestern Nacht ordentlich dein Gedächtnis aufgefrischt, nachdem er sich in den letzten Wochen rar gemacht hat. Ich verstehe.“
„Ja, okay, er war hier.“
Kaylin legte den Eyeliner beiseite und betupfte mit einem dicken Pinsel ihre Wangen mit etwas Rouge.
„Und? Was hat er mit dir angestellt?“
„Kein Kommentar.“
„Oh, war er so gut, ja?“
Taras Lachen schallte in ihrem Ohr und bewog sie dazu, erneut mit den Augen zu rollen.
„Jetzt erzähl schon, ich sag dir ja auch alles.“
„Das ist ja mein Problem. Manchmal kenne ich deine Liebhaber in und auswendig, ohne ihnen je begegnet zu sein. Das ist nicht normal.“
„Aber lustig.“
„Okay, ich bin in zehn Minuten bei dir. Bis gleich. Und hey? Sei bitte heute einmal nett zu den Gästen.“
„Pah, solange sie die Klappe halten und mein Essen nicht bemängeln.“
Kaylin legte ohne Verabschiedung auf, hielt vor dem hübsch dekorierten Tablett inne und seufzte bedauernd. Jetzt blieb doch nicht mehr genug Zeit. Sie nahm einen Schluck Kaffee zu sich und aß eins der Croissants auf dem Weg aus ihrer Wohnung zum Wagen. Die Fahrt dauerte wieder einmal eine halbe Ewigkeit, der Stadtverkehr war um diese Uhrzeit eine Plage. Als Kaylin vor dem Mietshaus hielt, wartete die Freundin bereits. Tara trug ihr rotblondes Haar zu einem Zopf gebunden und hatte ihre rasanten Kurven wie immer in feminine Kleidung verpackt. Niemals trug sie die teuren Korsetts, die ihre Rundungen noch kurviger machten, unten drunter. Sie fand die Dessous viel zu schade, um sie nicht zu zeigen. Auf dem Weg zum Tristans ging Tara laut die heutige Speisekarte durch und erinnerte Kaylin wie versprochen an die Weinlieferung, die am Nachmittag eintreffen sollte. Sie parkte vor der Bar und legte ihre Stirn in Falten. Es war ungewöhnlich, denn um diese Uhrzeit war Eric normalerweise längst anwesend und die Türen geöffnet. Doch heute nicht. Tara hatte vor zwei Jahren im Pokern gegen Eric gewonnen und ihn dazu verdonnert, die täglichen Einkäufe für die Küche vom Frühmarkt zu besorgen. Stirnrunzelnd schloss Kaylin die Tür auf und schaltete das Licht an. Sie erwiderte Taras Blick, die ihre Schultern hob.
„Vielleicht ist er noch mal los, weil er was vergessen hat.“
„Kann sein.“
Ein seltsames Gefühl beschlich Kaylin. Eric war zuverlässig. Er hätte angerufen oder eine Nachricht hinterlassen, wenn er zu spät aufgestanden oder noch einmal losgefahren wäre. Tara fluchte in der Küche.
„Er war gar nicht auf dem Markt, verdammt. Wo steckt der Kerl?“
Sofort wählte Kaylin seine Handynummer, erreichte aber nur die Mailbox.
„Sein Handy ist nicht eingeschaltet.“
„Jetzt mach aus der Mücke keinen Elefanten. Sicher liegt er noch im Bett und hat verpennt. Kann ich ihm auch nicht verübeln, ich bin schließlich ein anspruchsvolles Weibchen.“
Kaylin hob sofort ihre Hände. Tara lachte leise.
„Schon gut, schon gut, keine Details. Gib mir die Autoschlüssel. Ich fahr zum Markt, und du machst die Bar auf. Wird eben etwas später gefuttert heute.“
„Okay, bis nachher.“
Kaum war Tara aus der Tür, machte Kaylin sich auf den Weg in Erics Büro, wählte erneut seine Handynummer. Wieder nur die Mailbox.
„Eric? Ich bin’s, Kay. Wo steckst du? Ruf mich bitte an, wenn du das abhörst.“
In seinem Terminkalender auf dem Schreibtisch war ein Termin eingetragen, doch aus den Kürzeln wurde sie nicht schlau. Sie vermied es, nach einem Anhaltspunkt in den Unterlagen zu suchen, denn Eric hasste es, wenn man seine Ordnung durcheinanderbrachte. Vielleicht war der Termin wichtig und er war deswegen nicht hier. Aber warum wusste sie nichts davon?
„Hallo, Chefin!“
„Hi, Jenny.“
Die Thekenhilfe band sich die grüne Schürze um, nach dem sie Erics Büro betreten hatte.
„Mel ist krank und hat mich gebeten, dir Bescheid zu sagen.“
„Okay. Ist Tim schon da?“
„Ja, im Gastraum.“
„Gut, dann müssen wir die Tische heute eben splitten. Du die ungeraden, Tim die geraden Nummern, und ich wuppe die Theke.“
„Aye, aye.“
„Wo zum Teufel steckt Lenny?“
„Hi, Chefin!“
„Sorry, hab dich nicht gesehen. Du musst heute in der Küche helfen. Tara ist zum Markt gefahren, also setz du die Fonds auf, und bereite schon mal alles vor.“
„Aye, aye … Ähm, kann ich heute vielleicht etwas früher …“
Sie schüttelte den Kopf und lächelte.
„Nope, keine Chance. Mel ist krank, und wir haben heute volles Haus.“
„Du musst dringend neue Leute einstellen.“
„Wenn du auf die Hälfte deines Stundenlohns verzichtest, könnte ich darüber nachdenken.“
„Wusstest du, dass ich Iren nicht mag?“
„Du verdammter Schotte, mach dich in die Küche. Komm du noch mal Guinness an meiner Theke trinken.“
Sie ließ das Küchentuch lachend nach seinem Hintern flitschen und Lenny gab theatralisch einen wehleidigen Schrei von sich.
„Das ist sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.“
„Zeig mich an, du angehender Anwalt.“
Kaylin hatte im Lauf des Tages wenig Zeit, sich Sorgen darüber zu machen, wo Eric steckte, doch in jeder freien Minute prüfte sie ihr Handydisplay auf einen verpassten Anruf. Die Gäste kamen und gingen, und am späten Nachmittag baute die heutige Band ihre Instrumente auf der kleinen Bühne auf, sodass Kaylin alle Hände voll zu tun hatte. Als gute Wirtin plauderte sie freundlich mit den Gästen, mixte Cocktails und half den beiden Bedienungen an den Tischen aus.
Gegen Abend betraten zwei uniformierte Polizisten die Bar und blieben an der Theke stehen. Ihr rutschte das Herz bei ihrem Anblick eine Etage tiefer, und sofort dachte sie sowohl an Nevin als auch an Eric. Sie lächelte tapfer, beugte sie über den Tresen.
„Hallo, meine Herren, was kann ich Ihnen Gutes tun?“
„Sorry Ma’am, sind Sie Kaylin Delany?“
„Ja, leibhaftig und in Farbe.“
Sie zwinkerte den beiden gut gelaunt zu, überspielte jedoch damit nur ihre Nervosität. Die Furcht davor, es könnte einem der beiden Männer in ihrem Leben etwas zugestoßen sein, schob sie von sich, aber ganz gelang es ihr nicht.
„Ich bin Corporal Waters, das ist mein Partner Williams. Können wir uns vielleicht irgendwo ungestört unterhalten?“
Kaylin schloss für einen Moment die Augen und schickte in Gedanken ein Gebet los. Unter ihrer Kopfhaut kribbelte die Angst. Sie nickte, öffnete die Schwingtür der Theke und ging den kurzen Flur an der Küche vorbei zu Erics Büro voraus. Kaylin gab den beiden Polizisten den Vortritt und umklammerte krampfhaft die Türklinke.
„Bitte nehmen Sie doch Platz.“
Sie musste sich dazu zwingen, sich den beiden wieder zuzuwenden, nachdem sie die Bürotür hinter ihnen geschlossen hatte.
„Also, was kann ich für Sie tun?“
Waters rang mit den Worten, und sie sah ihm an, dass die Nachrichten, die er für sie bereithielt, nichts Gutes verhießen.
„Ms Delany, es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir heute Morgen die Leiche ihres Bruders gefunden haben.“
Ihr wurde heiß und kalt zugleich, schwankend griff sie nach der Lehne des am nächsten stehenden Stuhles und kämpfte gegen die Übelkeit.
„Wie?“
Sie sank auf den Sitz und starrte den Beamten fassungslos an.
„Wir gehen davon aus, dass ihr Bruder ermordet wurde.“
„Was? Sind Sie sicher, dass es sich um meinen Bruder handelt?“
„Er wurde in seinem Apartment von einem Nachbar tot aufgefunden. Laut seiner Aussage, muss die Wohnungstür offen gestanden haben, als er gerade zur Arbeit wollte. Es gab leider keine Zeugen, niemand scheint den Schuss gehört zu haben. In seiner Brieftasche war sein Ausweis und wir haben seine Fingerabdrücke abgeglichen. Es tut mir leid, aber wir müssen Sie bitten, ihn persönlich in der Pathologie zu identifizieren.“
Er reichte ihr die Karte mit der Adresse des Krankenhauses, in dem Erics Leiche sich befand.
„Wer?“
Diesmal antwortete der bärtige Kollege. Williams sah ihr bedauernd ins Gesicht.
„Das wissen wir noch nicht, Ms Delany. Aber ich verspreche Ihnen, dass wir alles tun werden, um seinen Mörder zu finden.“
„Wie ist er ermordet worden?“
„Er wurde erschossen.“
Erschossen! Das Wort hallte wie ein Echo in ihrem Kopf nach, während sie auf die Karte mit der Adresse des Krankenhauses in ihrer Hand starrte, und konnte sich einfach nicht rühren. In ihren Gedanken sah sie Eric lächeln, als stünde er direkt vor ihr. Seine gesamte Kindheit zog wie ein Film in ihren Gedanken an ihr vorbei, als wäre es erst gestern gewesen. Das konnte nicht wirklich sein. Nicht ihr kleiner Bruder! Kaylin war nicht mehr in der Lage, weitere Fragen über Eric zu beantworten. Sie verstand kein einziges Wort von dem, was die Beamten sagten, und konnte sich später auch nicht mehr daran erinnern, ob sie sich verabschiedet hatten.
Irgendwann öffnete sich schwungvoll die Bürotür.
„Kay?“
Sie blickte in vertraute grüne Augen, berührte das besorgte Gesicht.
„Es tut mir leid, dass ich nicht eher hier sein konnte. Ich hab’s gerade über Funk gehört.“
„Nevin? Was machst du hier? Ich dachte, du arbeitest an einem wichtigen Fall.“

Sie stand völlig unter Schock, und er zog sie wortlos an seine Brust. Tara fluchte in der Küche, stürmte geradewegs ins Büro.
„Hey, könnt ihr die Knutscherei bitte auf den Feierabend verlegen, die Gäste sind durstig, und die Chefin gönnt sich …“
Sie hielt inne, als Nevin sie ernst ansah und den Kopf schüttelte.
„Ich glaube, es ist besser, wenn ihr für heute Schluss macht.“
„Was ist passiert?“
„Kay, ich bin gleich wieder da.“
Sie nickte geistesabwesend und bleich. Nevin schob Tara aus dem Büro und schloss die Tür hinter sich. Nachdem er ihr die Kurzversion erzählt hatte, schrie sie erstickt auf.
„Oh mein Gott.“
„Es tut mir leid, Tara.“
Er meinte es aufrichtig, sah ihr an, dass sie es zu schätzen wusste. Nevin kannte Taras Bedenken über seine Absichten Kaylin gegenüber und war nie freundlich zu ihm gewesen. Sie wischte sich die Tränen von den Wangen und nickte.
„Ich kümmere mich um die Bar.“
Nevin strich Tara sanft über die Schulter.
„Ich werde Kay in die Pathologie begleiten.“
„Ist das wirklich nötig?“
„Leider ja, Eric muss von einem Verwandten identifiziert werden. Das ist Vorschrift.“

Kurze Zeit später verließ er mit Kaylin im Arm das Tristans und machte sich mit ihr auf den Weg ins Krankenhaus. Erst als der Pathologe das Leichentuch vom Gesicht ihres Bruders faltete, brach sie weinend zusammen. Er hatte sie darauf vorbereitet, aber der Anblick war schlimmer als alles, was sie sich hätte vorstellen können. Die linke Hälfte seines hübschen Gesichtes war zerstört, während die andere unversehrt geblieben war. Kaylin schrie sich den Schmerz von der Seele und hieb hilflos mit den Fäusten auf Nevins breite Brust ein. Er zog sie fest an sich, hielt sie, wiegte sie tröstend und setzte sich mit ihr auf den Boden, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
„Es tut mir so leid, Kay.“
Er hob sanft ihr verweintes Gesicht, um ihren Blick einzufangen.
„Meine Kollegen werden alles Erdenkliche tun, um das Schwein zu fassen.“
„Wer tut so was? Er war überall beliebt. Jeder mochte ihn. In seiner Jugend hat er ein paar Dummheiten gemacht, aber er hat sich gefangen und sein Leben wieder in die Hand genommen.“
„Ich weiß.“
„Eric ist vor zwei Wochen erst achtundzwanzig geworden. Er hatte sein ganzes Leben noch vor sich.“
Neue Tränen rollten über ihre Wangen. Nevin nickte hilflos.
„Ich weiß.“
„Er war alles, was mir noch geblieben ist. Jetzt bin ich ganz allein.“
„Du bist nicht allein. Du hast Tara, du hast mich … du hast eine Menge Freunde, die dich lieben.“
Ein weiterer Weinkrampf erschütterte ihren Körper, und sie wirkte so fragil und zerbrechlich, dass Nevin sich kaum wagte, sie an sich zu ziehen.
„Was mache ich denn jetzt?“
Sie sah ihn verzweifelt an, und er half ihr aufzustehen. Er hasste es, sie so zu sehen und nichts dagegen tun zu können.
„Ich bring dich erst einmal nach Hause.“

Kaylin erinnerte sich später nicht mehr, dass sie in seinen Wagen gestiegen war, an die Fahrt nach Hause oder daran, dass sie gemeinsam den Lift betreten hatten. Nevin zog ihr die Schuhe von den Füßen und deckte sie in ihrem Bett behutsam zu. Als er zum Telefonieren kurz ins Nebenzimmer gehen wollte, griff sie nach seinem Handgelenk.
„Geh nicht weg.“
„Versprochen.“
Er setzte sich neben sie, lehnte sich gegen das Kopfteil und hielt sie fest im Arm.
„Hi, ich bin’s, gibt es was Neues?“
Er sprach mit seinem Partner, erzählte ihm, was geschehen war, und bat ihn, die Stellung zu halten.
„Musst du zurück?“
„Tara wird bald hier sein und ich komme wieder, sobald ich kann.“
Kaylin vergrub ihr Gesicht an seinen Oberschenkeln und schluchzte erneut. Zärtlich streichelte er ihr übers Haar, während sie sich in den Schlaf weinte.