The Chaos Chasers MC: Nate

Originaltitel: Nate (The Chaos Chasers MC Book 1)
Übersetzer: Svenja Ohlsen

Erschienen: 02/2023
Serie: The Chaos Chasers MC
Teil der Serie: 1

Genre: Motorcycle Club Romance, Romantic Thrill

Location: USA, Texas


Erhältlich als:
paperback & ebook

ISBN:
Print: 978-3-86495-580-8
ebook: 978-3-86495-581-5

Preis:
Print: 16,90 €[D]
ebook: 6,99 €[D]

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The Chaos Chasers MC: Nate


Inhaltsangabe

Nate

Völlig unerwartet platzt sie aus heiterem Himmel in mein Leben. Süß und wunderschön. Ein warmer Blick aus Camryns grauen Augen und ihr hinreißendes Lächeln zwingen mich in die Knie. Leider ändert das nichts an der Tatsache, dass ich sie nicht haben kann. Aber das ist in Ordnung - bis sie die Stadt verlassen muss, werde ich mich in ihr verlieren.

Doch plötzlich erhält sie unheimliche Drohungen und mein instinktives Bedürfnis, sie zu beschützen, setzt ein. Ob sie es will oder nicht, ich werde nicht von ihrer Seite weichen, bis ich weiß, dass sie in Sicherheit ist. Und als sie der zwischen uns brennenden Anziehung nachgibt, wird mir etwas klar: Ich möchte nie wieder von ihrer Seite weichen.

Camryn

Trauer und Einsamkeit sind seit einem Jahr meine ständigen Begleiter. Ein Aufenthalt in meiner Heimatstadt klingt ideal, um den Kummer loszulassen und zu versuchen, wieder das sorglose, glückliche Mädchen von früher zu werden. Aber zurück in Texas ist es nicht dieses Mädchen, das ich zuerst treffe, sondern Nate Bowers, Präsident des Chaos Chasers MC.

Nate ist kein Heiliger. Das sagt er selbst. Als pragmatische Lehrerin sollte ich so schnell wie möglich vor diesem gefährlichen Mann davonlaufen. Aber hinter seinem harten Äußeren und seiner wilden Natur erkenne ich in seinen dunklen Augen einen fürsorglichen Mann, den er nur mir gegenüber zeigt.

Als eine dunkle Vergangenheit, von der ich nicht einmal ahnte, dass sie überhaupt existiert, mir Schaden zufügen will, indem sie mir zeigt, dass das Böse sich das freundlichste Gesicht ausleihen kann, tut Nate alles, um mich zu beschützen. 

Über die Autorin

Die Autorin C.M. Marin schreibt romantische Motorcycle Club-Liebesromane mit Krimi-Faktor sowie zeitgenössische Liebesromane. Sie ist durch und durch ein Kleinstadtmädchen. Ruhe und Natur sind alles, was sie wirklich braucht … solange dort auch eine Kiste voller Bücher sowie eine große Auswahl...

Weitere Teile der The Chaos Chasers MC Serie

Leseprobe

Nate

Selbst von der anderen Straßenseite aus ist der rote Patch auf den Kutten der beiden Biker, die entspannt auf dem Gehweg stehen und rauchen, nicht zu übersehen.
Diese verdammten Spiders.
Was zum Teufel machen die denn hier?
Sicher, das Dona‘s liegt auf neutralem Gebiet, aber in den zwei Jahren, die ich hierherkomme, habe ich diese Scheißkerle noch nie zu Gesicht bekommen. Diese Typen sind wahrscheinlich Prospects, da ich ihre Visagen nicht einordnen kann. Und ich merke mir absolut jedes Gesicht. Vor allem, wenn der Typ zu einem abgefuckten Club gehört, der von einem abgefuckten Präsidenten geführt wird,...

...der meinen Club mit unverhohlener sadistischer Euphorie von der Landkarte tilgen würde, wenn er je die Chance dazu bekäme. Doch dazu wird es niemals kommen.
Als Chaos Chaser ist mein erster Instinkt, auf sie loszugehen und sie zum Teufel zu jagen. Aber das wäre dumm, denn ich bin allein und trage nur einfache Kleidung. Und auch wenn das Dona‘s nicht im Gebiet der Spiders liegt, so liegt es doch auch nicht in unserem. Wenn sie ein Zelt direkt vor dem Diner aufschlagen wollten, könnten sie das, verdammt.
Ich zwinge mich, die impulsiv in mir aufschäumende Wut zu zügeln. Es gelingt mir sogar, bis mein Blick dem der Spiders folgt und geradewegs an hellbraunem Haar hängen bleibt, das ein wunderschönes Gesicht einrahmt, das sanft auf etwas herab lächelt.
Camryn.
Mein Blut kocht, meine Hände ballen sich zu Fäusten, und mein Kiefer spannt sich so stark an, dass meine Muskeln und Knochen vor Schmerz aufzuschreien scheinen. Camryn schaut wohl auf ihr Handy, obwohl ich das von hier aus nicht sehen kann. Sie merkt gar nicht, dass sie von diesen kranken Wichsern angestarrt wird.
Ich werde ihnen die Beine aus dem Leib reißen, wenn sie auch nur daran denken, sich ihr zu nähern.
Das zeigt mir wieder, wie verdammt unschuldig dieses Mädchen ist.
Oder … ist sie das wirklich?
Warum beobachten die Spiders sie?
Plötzlich auftauchende Fragen wirbeln meine Gedanken durcheinander. Ich schwanke zwischen dem Misstrauen, das mein ganzes Leben lang mein engster Begleiter war, und der Überzeugung, dass Cam nichts mit Männern zu tun hat, die jemandem die Kehle aufschlitzen, nur weil sie gerade Lust dazu haben. Nur weil es ihnen Spaß macht, Blut fließen zu sehen. Ich bin von Letzterem überzeugt, und wieder wollen meine Füße wie von selbst auf sie zusteuern, instinktiv will ich meine Waffe ziehen und sie in ihre verdammten Kehlen rammen. Bis sie die Nachricht geschluckt haben, dass dies das letzte Mal gewesen ist, dass sie ihre kranken Blicke auf dieses Mädchen gerichtet haben.
Mein Gott, das ist so krank.
Das Gefühl des Beschützerinstinkts, das mich überfällt, ist erstickend, fremd und irgendwie schwer zu ertragen. Ich habe solche Gefühlsregungen einfach nicht. Hatte ich noch nie, für niemanden. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass diese Wichser sterben werden, wenn sie Camryn zu nahe kommen. Denn jedes Mal, wenn ich mir auch nur vorstelle, dass sie eine verdammte Fingerspitze auf ihren Körper legen, erinnere ich mich daran, wie ich sie gestern berührt habe. Und es ist mir egal, dass ich nicht so tun sollte, als würde sie zu mir gehören, als dürfe nur ich sie berühren und beschützen. Ich kann es einfach nicht tolerieren, wenn sich ihr jemand nähert und ihr wehtut. Oder sie auf irgendeine andere Weise berührt. Ich kann es einfach nicht.
Ihr Körper, der sich auf mein Motorrad schmiegt, als wäre er dafür bestimmt, ihre Arme, die sich um meine Taille schlingen, während sie sich fest an mich klammert … Scheiße, diese Empfindungen sind die ganze Nacht Karussell in meinem Kopf gefahren. Ich hatte mir nie ein Mädchen auf meinem Motorrad vorgestellt, aber gestern habe ich mir gewünscht, ich wäre mit meiner Harley zum Dona‘s gekommen, auch wenn ich das nie tue.
Die seltsame Ahnung, dass mich jemand beobachtet, reißt mich von den Spiders los. Ich zwinge meine angespannten Gesichtszüge dazu, sich etwas zu glätten, als ich bemerke, dass Cams Blick durch das Fenster hindurch auf mir ruht.
Ich reiße mich zusammen und versuche, mich wie jeder normale Kunde zu verhalten, gehe auf die Tür zu und stoße sie auf, ohne mich umzusehen. Als ich endlich am Tisch ankomme, muss ich mich beherrschen, um den Spiders keinen warnenden Blick zuzuwerfen.
Camryns wunderschönes Lächeln flackert nur schwach auf, und sie blickt mich forschend an, als ich mich setze.
„Geht es dir gut?“, fragt sie und lässt mich vor Überraschung kurz verstummen, als ich die Sorge in ihrem Tonfall erkenne. „Du schienst draußen aufgebracht zu sein“, fügt sie hinzu.
Ja, das liegt nur daran, dass dich ein paar Killer beobachtet haben, als ob sie gerne mal einen Bissen von dir nehmen würden.
Das wäre der perfekte Spruch, wenn es mein Ziel wäre, sie direkt zu vergraulen.
„Alles in Ordnung“, lüge ich und wische ihre Besorgnis beiseite. „Iss, bevor es kalt wird“, sage ich und schnappe mir einen Pfannkuchen von ihrem Teller.
Die Anwesenheit der Spiders macht mich immer noch nervös. Jetzt, wo mein Verstand die Oberhand über meine aufbrausende Wut über Rods Jungs – den Präsidenten der Spiders – und ihr Grinsen in Cams Richtung gewonnen hat, wird mir klar, dass es gut gewesen ist, so zu tun, als hätte ich sie nicht bemerkt. Offensichtlich wissen sie nicht, wer ich bin, denn wenn sie es wüssten, würden sie nicht weiterhin vor dem Diner rumhängen, als ob nichts wäre. Das ermöglicht mir, die Sache behutsam anzugehen, anstatt gleich meine Knarre zu zücken und auf die Wichser loszugehen, sollten sie Cam tatsächlich noch aus einem anderen Grund mustern, als weil sie verdammt heiß ist. Ich bin wohl etwas zu paranoid, wenn ich glaube, dass sie ihretwegen hier sind. Aber nur für den Fall, dass sie es doch sind, schnappe ich mir mein Handy und schicke eine kurze SMS an Blane, in der ich ihm auftrage, ein Mädchen namens Camryn Jones zu überprüfen, das gerade wieder in die Gegend gezogen ist. Oder besser gesagt, den Sommer über hier ist.
Ich stecke mein Handy zurück in die Tasche und warte nicht auf seine Antwort. Ich weiß, dass er es tun wird. Wenn er seinen Arsch schon aus dem Bett gehoben hat, jedenfalls.
„Was hast du heute geplant?“, frage ich sie. „Du musst verdammt kreativ sein, um hier genügend Hobbys zu finden, damit du nicht nach einer Weile vor Langeweile stirbst.“
„Oh, ich finde immer … Ja, es kann schon schnell langweilig werden“, gibt sie zu und lacht leise. „Aber das erzähle ich niemandem, denn die Leute neigen dazu, mir den Kopf abreißen zu wollen, wenn ich erwähne, dass ich manchmal wünschte, ich hätte nicht so lange frei.“
„Scheiß auf die Leute“, entgegne ich. „Diejenigen, die sich über ihr Leben beschweren, meckern wahrscheinlich sowieso rund um die Uhr über alles, und daran wird sich nie etwas ändern.“
Sie nickt. „Du hast wahrscheinlich recht.“
„Das habe ich“, bestätige ich. „Also, was für langweilige Dinge hast du für diesen langweiligen Tag geplant?“
Ich habe noch nie so viel Willenskraft gebraucht wie in diesem Moment, um meinen Blick von ihrem zarten Dekolleté abzuwenden, das sie in dieser grünen Bluse hat. Wie kann eine schlichte Bluse wie diese so eine sexy Ausstrahlung erzeugen?
„Ich bin mir nicht sicher“, antwortet sie und hilft mir dabei, mich von Gedanken abzulenken, die andernfalls eine körperliche Reaktion auf die angedeuteten Rundungen ihrer Brüste hervorrufen würden, die in meiner Jeans zu schmerzhafter Enge führen könnte. „Ich versuche schon seit drei langen Tagen, mich zum Aufräumen des Dachbodens zu motivieren, und ich glaube, heute ist der Tag gekommen.“
Da ich mich daran erinnere, was sie über ihre Unentschlossenheit in Bezug auf so ziemlich alles, was ihre derzeitige Situation betrifft, gesagt hat, hoffe ich, dass mein Tonfall lässig klingt, als ich sie frage: „Und bedeutet das Aufräumen des Dachbodens, dass du Platz für deine Sachen schaffst oder dass du anfängst auszuräumen?“
Sie gibt einen traurigen Laut von sich. „Ehrlich gesagt, selbst wenn ich mich für L.A. als meinen Lebensmittelpunkt entscheide, bin ich mir nicht sicher, ob ich das Haus verkaufen kann. Jedenfalls nicht jetzt. Ich möchte zurückkommen können, und wenn es nur alle drei Jahre ist.“ Sie lächelt. „Es ist der Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Der einzige Ort, an dem ich mich jemals ganz zu Hause gefühlt habe. Es ist beruhigend, in diesem Haus zu sein, wenn alles den Bach runterzugehen scheint. Im Moment habe ich das Gefühl, dass es der Ort ist, an dem ich sein sollte.“
Das bedeutet, dass sie zumindest noch eine Weile in Texas bleiben wird. Möglicherweise, bis sie wieder arbeiten gehen muss. Aber selbst diese Zeitspanne scheint zu kurz zu sein. Es sind bestenfalls nur noch sechs Wochen …
„Hast du es vermisst, hier zu sein, als du zur Uni gegangen bist?“
„Sehr“, ist ihre unmittelbare Antwort. „Doch ich war mit den Vorlesungen und meinem Kellnerjob beschäftigt, sodass mir nicht viel Zeit blieb, über Heimweh nachzudenken. Und dann lernte ich meine beste Freundin Colleen kennen, kurz nachdem die Vorlesungen angefangen hatten, was mir sehr geholfen hat. Erst als meine Eltern gestorben sind, habe ich bereut, dass ich weggezogen bin. Ich wünschte, ich wäre auf ein College in der Gegend gegangen. Dann hätte ich öfter zurückkommen können. Ich hätte das Gefühl haben können, immer noch ein Teil ihres Lebens zu sein. Denn egal, wie oft man seine Familie anruft, wenn man weit weg ist, man wird das Gefühl nicht los, dass man nicht mehr Teil des gemeinsamen Alltags ist. Du bist einfach nicht mehr da. Und wenn ich geblieben wäre, hätte ich nicht so viel mit ihnen verpasst.“
„Aber du musst doch einsehen, dass, wenn alle so denken würden, jeder das ganze Jahr über an seine Liebsten gekettet wäre.“
Sie lacht wieder leicht, aber diesmal schwingt Traurigkeit mit. „Wahrscheinlich. Außerdem gibt es wohl Menschen, die ich nicht kennengelernt hätte, wenn ich nicht nach L.A. gegangen wäre, also muss ich letztendlich einfach akzeptieren, dass die Geschichte nicht umgeschrieben werden kann.“
„Wie deine beste Freundin?“, frage ich.
„Ja. Colleen ist vor eineinhalb Jahren weggezogen. Sie lebt jetzt in New York. Sie hat dort einen Job gefunden.“
„Schön.“
„Sie hasst es.“
„Nicht so schön.“
Ich zwinge mein Gesicht zu einem dramatischen Ausdruck. Das Lachen, das sie dabei ausstößt, spült etwas von ihrer anhaltenden Traurigkeit aus ihren ebenmäßigen Gesichtszügen fort.
„Sie ist auch irgendwie allein und ein Job ist eben nur ein Job. Sie arbeitet für einen Verlag. Das war ihr absoluter Traumberuf, aber sie hatte gehofft, mehr zu tun als lediglich zu fotokopieren und Kaffee zu kochen.“
Auch irgendwie allein.
Wie bei der Welle des Beschützens, die mich zuvor überrollt hat, wimmelt es jetzt in meinem Inneren von Gefühlen, die ich nicht kenne. Bei der Vorstellung, dass dieses Mädchen in ständiger Einsamkeit lebt, möchte ich sie in meine Arme schließen und nie wieder loslassen.
Mein Telefon brummt, und ich ziehe es aus der Tasche.

Blane: Adoptivtochter von Kate und Patrick Jones, keine Geschwister. Die Eltern starben vor mehr als zwei Jahren bei einem Autounfall. Studierte Pädagogik und Lehramt an der UCLA, jetzt Lehrerin an einer Schule in L.A. Verlobter, Colin North, starb vor etwa einem Jahr bei einem Flugzeugabsturz.

Verlobter.
Das ist es, was bei all den Informationen, die Blane gefunden hat, für mich am meisten heraussticht. Und ich komme mir wie der größte Mistkerl vor, weil ich mich nicht entscheiden kann, was schlimmer ist: dass sie wahrscheinlich immer noch trauert oder dass sie überhaupt einen Verlobten hatte.
Ja, ich bin ein verdammter Mistkerl.
Ich suche nach einer Möglichkeit, herauszufinden, wo sie steht, wenn es um den Mann geht, den sie offenbar heiraten wollte. „Und abgesehen von deiner besten Freundin? Du hast mich gefragt, ob ich eine Freundin habe, aber ich habe dich nicht gefragt, ob du einen Freund hast, der bereit wäre, mir in den Hintern zu treten.“
Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich wie ein totales Arschloch.
„Ich hatte einen Verlobten. Ich habe ihn kurz nach meinem Abschluss kennengelernt, ein paar Monate nach dem Tod meiner Eltern. Ein Jahr später waren wir verlobt, aber auch er ist gestorben. Nur ein paar Wochen, nachdem er mir einen Antrag gemacht hat. Das war vor einem Jahr“, fügt sie hinzu und schaut auf ihren angebissenen Pfannkuchen hinunter. „Wir sind ziemlich schnell zusammengezogen, nachdem wir uns kennengelernt haben. Ich bin fast ein Jahr lang in unserer Wohnung geblieben, weil ich mir nicht vorstellen konnte, sie zu verlassen. Und eines Morgens konnte ich es nicht mehr ertragen, auch nur eine Sekunde länger in diesen vier Wänden zu bleiben. Vielleicht, weil die Schule zu Ende war und ich im Grunde nichts zu tun hatte. Zu viel freie Zeit zum Nachdenken. Das war vor ein paar Tagen. Ich habe ein paar Sachen gepackt und bin nach Hause gekommen.“
Sie hört auf zu sprechen und schluckt schwer. Der Schmerz in ihren Augen drückt mein Herz heftig zusammen.
„Was ist mit ihm passiert?“, frage ich, obwohl ich es bereits weiß.
„Ein Flugzeugabsturz. Er war Pilot und machte Rundflüge in Kalifornien. Fliegen war seine Leidenschaft. Er war allein unterwegs, als er ins Meer stürzte. Außer Flugzeugteilen hat man nichts gefunden.“
„Das tut mir leid.“
Sie nickt. „Er war wundervoll. Liebenswürdig und rücksichtsvoll. Selbstlos.“
Jetzt fühle ich mich wie ein Arschloch und ein Verlierer. Ich weiß nicht einmal, warum es mich stört, dass ihr Verlobter die Reinkarnation eines Heiligen war. Das sollte es nicht. So werde ich nie sein, und ich will es auch nicht.
„Okay, was hältst du davon, wenn wir eine Runde drehen?“ Ich versuche das Gespräch auf ein weniger schweres Thema zu lenken.
Ihr Lächeln erweckt in mir ein Gefühl des Triumphs. „Wo willst du denn hin?“
„Ich weiß nicht. Wir können ja mal losfahren und sehen, wo wir landen, was hältst du davon? Danach setze ich dich hier bei deinem Auto wieder ab“, biete ich ihr an und male mir aus, sie zu entführen, wenn sie nein sagt. „Ich muss heute am frühen Nachmittag in die Werkstatt, also kann ich dich gegen Mittag wieder hierher bringen.“
Ich muss zu einem Clubtreffen fahren, aber das werde ich ihr natürlich nicht sagen.
„Aber du hast doch noch gar nichts gegessen.“
„Ich habe zwei von deinen Pfannkuchen gegessen.“ Ich zwinkere ihr zu. „Ich sage Dona einfach, dass ich heute nichts brauche.“
„Sie ist nicht da. Sie ist kurz bevor du gekommen bist losgezogen, um etwas zu besorgen.“
Ich brumme. „Das erklärt, warum sie mir mein Essen noch nicht gebracht hat. Ich dachte, sie wäre nur beschäftigt. Wie auch immer, was hältst du von dem Ausflug?“
„Okay, aber nur, wenn du nicht schneller fährst als gestern“, mahnt sie, steht aber schon auf und schnappt sich ihre Tasche.
Als sie bereit ist zu gehen, nehme ich ihre Hand. Ich bin froh, dass sie es zulässt, und zwar nicht nur, weil es ein ständiges Ziel von mir ist, sie auf irgendeine Weise zu berühren, sondern auch, weil diese Wichser vielleicht noch da draußen sind. Mein Körper ist angespannt, als wir nach draußen schlendern. So sehr, dass ich mich darauf konzentrieren muss, meinen Griff um ihre Hand zu lockern, weil ich Angst habe, ihre zarten Knochen zu zerquetschen.
Die Spiders sind weg. Zumindest sind keine in Sicht.
Wieder einmal wird mir klar, dass ich viel zu unvorsichtig bin, wenn ich zu Dona gehe. Ich neige dazu, Sicherheitsmaßnahmen zu vergessen, als würde mich das Tragen von Zivilkleidung aus der Clubwelt herausreißen. Offenbar habe ich erst zwei Spiders treffen müssen, um zu merken, dass ich mich zusammenreißen muss, bevor mir einer von ihnen eine Kugel verpasst. Ich bin leichtsinnig geworden und das ist nicht gut.
Aber sobald sich Cam hinter mir auf meinem Motorrad niedergelassen hat, verschwindet jeder andere Gedanke und es scheint nur noch sie zu geben. Ihre Arme umschließen mühelos meine Taille, und diesmal zögert sie nicht, ihren Oberkörper an meinen Rücken zu schmiegen, auch wenn es nur eine subtile Berührung ist. Ich liebe es. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals ein Mädchen auf meinem Motorrad haben würde, geschweige denn, dass ich es so genieße, und dass die Fahrt viel zu schnell endet, egal wie lange ich auch unterwegs bin.
Ich konzentriere mich auf ihre Finger, die sich durch mein Hemd hindurch sanft in meine Seiten graben, und merke erst, wo ich uns hingelenkt habe, als wir angekommen sind.
An den See.
Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich so lange gefahren bin. Der See liegt mehr als eine Stunde östlich von Twican.
Das letzte Mal war ich hier draußen, um mit den Jungs Isaacs Hütte aufzuräumen, bevor ich sie zugesperrt habe. Das ist etwa ein Jahr her. Damals bemerkte ich kaum die hohen Bäume und verschlungenen Pfade, die in den Wald oder zum See führten. An diesem Tag wurde alles von der Farbe des Blutes und dem Geruch des Todes überlagert, und ich war mir sicher, dass das immer so bleiben würde. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals wieder einen Fuß hierher setzen würde. Anscheinend war etwas tief in mir anderer Meinung.
Camryn hat den Helm bereits abgenommen, als ich aufhöre, meinen Blick prüfend umherschweifen zu lassen. Ihre Augen sind auf das stille Wasser gerichtet, irgendwo in der Mitte des Sees. Ein seltsames Funkeln bringt sie zum Leuchten, und ich kann nicht sagen, ob es von Glück oder Traurigkeit herrührt.
„Willst du mir sagen, was dich so von mir ablenkt?“ Ich stelle mich neben sie.
Sie sieht auf und erwidert mein Grinsen. „Ich kam früher fast jeden Sonntag mit meinen Eltern hierher. Mein Vater liebte es zu angeln, und meine Mutter und ich kamen einfach mit und gingen spazieren oder lasen oder plauderten miteinander.“
„Klingt schön.“
Ich habe nur wenige glückliche Erinnerungen an meine Mutter und mich, und die wenigen, die ich habe, werden mit jedem Tag, der vergeht, verschwommener. Ich erinnere mich noch an die Samstagvormittage, an denen ich nicht in der Schule war und mein Vater arbeitete. An sonnigen Tagen spielten wir Fußball im Garten, an regnerischen bastelten wir in der Küche. Manchmal holten wir unsere Fahrräder aus der Garage und fuhren durch die Nachbarschaft. Das waren die einzigen Momente, in denen meine Mutter frei zu sein schien. Dann trug sie ein sorgloses Lächeln, das die Angstfalten vertrieb, die sich eingruben, sobald mein Vater zu Hause war.
„Das war es“, sagt Camryn. „Ich weiß noch, was für ein buntes Treiben an sonnigen Tagen hier immer herrschte. Und dann war da noch dieser Mann, der sich mit meinen Eltern angefreundet hat. Ein netter Kerl, der mir jedes Mal, wenn er da war, ein Eis kaufte. Gott, ich habe diese Erinnerungen so lange verdrängt, um den Schmerz zu unterdrücken, den sie immer mit sich bringen“, gesteht sie. Dann schleicht sich ein verträumter Seufzer über ihre Lippen. „Es ist immer noch so still und schön.“
„Komm mit.“ Ich führe sie die unebene Holztreppe hinunter, ihre weiche Hand wieder in meiner. Als wir den Strand erreichen, leite ich sie weg von den vielen Teenagern, die herumalbern, und den Familien, die hier den Tag gemeinsam verbringen, so wie Cam früher. Ich gehe an ihnen vorbei und führe sie zu einem abgelegenen Platz, kurz vor dem Waldrand.
„Kommst du oft hierher?“, fragt sie mich.
„Früher war ich ab und zu hier.“ Ich setze mich neben Cam. Sie hat es sich bereits im Sand bequem gemacht, und ich halte einen Moment inne, während ich nach den richtigen Worten suche, um nicht mehr als nötig über das zu verraten, was ich vor ihr geheim halten will. Es fühlt sich beschissen an zu lügen, aber ich will nicht, dass sie mir gleich davonläuft. „Der Großvater meines besten Freundes besaß hier eine Hütte, etwas weiter im Wald. Ich liebte den Kerl wie meinen eigenen Opa. Ich war fünfzehn, als ich ihn kennenlernte, und vom ersten Tag an fand er immer die Zeit, mit mir Dinge zu tun, die mein Vater mit mir hätte tun sollen, wenn er ein richtiger Vater gewesen wäre. Einfache Dinge wie Steine springen lassen, genau dort.“ Ich zeige mit dem Finger auf eine Stelle am Wasser. „Er ist vor etwa einem Jahr gestorben. Die Hütte gehört jetzt Jayce, meinem besten Freund, aber seitdem bin ich nicht mehr hier gewesen. Ich weiß nicht, warum ich heute hierher gefahren bin, aber jetzt weiß ich wieder, warum ich diesen Ort so geliebt habe. Er ist friedlich.“
Ein Frieden, der mir im Alltag manchmal fehlt.
Es ist schwer zu erklären, warum ich ihr das alles erzähle. Ich vertraue mich eigentlich niemandem an, schon gar nicht einer Frau. Und doch öffne ich ihr jetzt mein Herz, als wäre ich das verdammte Mädchen von uns beiden.
„Es tut mir leid um den Großvater deines besten Freundes“, sagt sie.
Ich nicke nur, weil ich das Thema nicht weiter vertiefen will. Sie fragt auch nicht näher nach, wofür ich ihr dankbar bin. Ich will sie nicht anlügen, und ich kann ihr auf keinen Fall die Wahrheit darüber sagen, was mit ihm passiert ist, als würde ich lediglich über das Wetter reden.
„Bring mir das Steinspringen bei“, sagt sie wie aus dem Nichts, während sie sich auf die Beine stemmt.
„Was?“
„Das konnte ich noch nie, und mein Vater war genauso schlecht. Zeig es mir, bevor wir wieder zurück müssen.“
Ich grinse wie ein verdammter Teenager und nehme die Hand, die sie mir entgegenstreckt, ohne dass sie mich zweimal bitten muss. Sie zieht mich zum Wasser. Auf dem Weg dorthin lässt sie meine Hand los, und wir heben ein paar Steine auf.
„Die besten Steine sind die flachen und dünnen“, sage ich ihr. „Und nicht zu groß.“ Ich wähle einen aus, der mir passend erscheint. „Ich fange an, damit du zusehen kannst.“
Sie nickt und runzelt bereits in voller Konzentration die Stirn, was mich zum Lächeln bringt.
„Also, leg deinen Zeigefinger an die Kante und deinen Mittelfinger und den Daumen auf beide Seiten des Steins. Genau so.“ Ich mache es ihr vor. „Du musst mit gespreizten Beinen seitlich zum Wasser stehen. Dann bewegst du dein Handgelenk. Du beugst es ganz nach hinten und lässt es dann nach vorne schnellen. Der Stein sollte sich drehen, wenn du ihn wirfst. Achte nicht auf die Geschwindigkeit, das Wichtigste ist die Drehbewegung. Und vergiss nicht, auch ein bisschen weich in den Knien zu sein. Und …“ Ich breche ab und demonstriere, was ich ihr gerade zu erklären versucht habe.
Wir beobachten beide, wie der kleine Stein über die Wasseroberfläche hüpft, bis er schließlich untergeht.
„Schön“, sagt sie mit Ehrfurcht in ihrer Stimme. „Okay, lass es mich versuchen.“
Ihr akribischer Blick wandert in die Kuhle ihrer Handfläche, in der ein halbes Dutzend Kiesel liegen. Nachdem sie sich gut dreißig Sekunden lang vergewissert hat, dass sie den passenden Stein ausgesucht hat, legt sie die restlichen Steine in den Sand und stellt sich in Position. Dann – nachdem sie ein letztes Mal überprüft hat, ob sie ihn richtig hält – wirft sie den Stein in Richtung See.
Nicht einmal ein Hüpfer. Das Ding sinkt direkt auf den Grund.
„So schwer wie vor zehn Jahren“, sagt sie tonlos.
„Das ist es wirklich nicht“, verspreche ich ihr mit einem Lachen. „Das Wichtigste ist, dass du übst, bis du die richtige Bewegung findest. Aber sei nicht verkrampft“, rate ich ihr und massiere ihre Schultern, damit sie sich entspannen kann.
Das würde ich zumindest behaupten, wenn sie mich fragt, warum ich sie berühre. Der wahre Grund, warum ich meine Hände auf sie lege, ist, dass ich mich nach dieser Berührung sehne.
„Üben“, wiederholt sie und weicht meinen Händen nicht aus. „Das erkläre ich auch meinen Kindern in der Schule, als ob es nichts Leichteres gäbe als das.“
Ich lache. „Deshalb hassen die meisten Kinder Lehrer.“
„Meine lieben mich. Ich bin nett“, erklärt sie stolz. „Aber das ist nicht der Punkt. Lass uns üben.“
Ich sehe ihr zu, wie sie sich wieder konzentriert. Sie schiebt den Stein zwischen ihren Fingern hin und her, bis sie mit der Art und Weise, wie sie ihn hält, zufrieden ist. Dann bewegt sie ihr Handgelenk ein paar Mal vor und zurück, um die Geste richtig umzusetzen, bevor sie den Stein tatsächlich ins Wasser wirft.
Direkt auf den Grund.
„Hast du deinen Kindern jemals gesagt, dass niemand in allem gut sein kann?“
Sie lacht, überhaupt nicht frustriert über ihren zweiten Fehlversuch.
„Ich sage ihnen lieber, dass man nur gut in etwas werden kann, wenn man es immer wieder versucht, bis man es schafft.“
Als sie sich umdreht und mir das strahlendste Lächeln schenkt, das ich in ihrem Gesicht gesehen habe, seit ich sie kenne, kann ich den Drang nicht unterdrücken, gegen den ich bei jeder unserer wenigen Begegnungen mühsam angekämpft habe.
Mein Kopf senkt sich, obwohl ich mir sicher bin, dass sie den Kuss ablehnen wird, noch bevor meine Lippen ihre erobern – vielleicht mit einem Schlag auf die Wange oder einem Kniestoß in die Eier zur Verdeutlichung. Aber als sich unsere Lippen treffen, bestraft sie meine Kühnheit nicht mit einer dieser schmerzhaften Reaktionen.
Stattdessen küsst sie mich zurück.
Sicher, der kurze, kaum wahrnehmbare Moment des Zögerns, bevor sie nachgegeben hat, ist nicht zu übersehen gewesen, aber das ist jetzt auch egal. Ihre Lippen streichen über meine, sie haben einen so süßen Geschmack, dass es mir unmöglich ist, mich ihnen zu entziehen.
Als sie ihren Mund öffnet, damit meine Zunge hineinschlüpfen kann, stelle ich fest, dass ihre ebenfalls begierig darauf ist, mich zu schmecken, meinen Geschmack zu erkunden, während ich es ihr gleich tue. Meine Hände sehnen sich danach, hinauf in ihr Haar zu gleiten und sie näher an mich heranzuziehen, aber ich habe zu viel Angst, einen Schritt weiterzugehen, der sie dazu bringen könnte, sich zurückzuziehen. Also bewege ich mich nicht, lediglich meine Lippen und meine Zunge genießen ihre. Na ja, meine Lippen, meine Zunge und mein Schwanz, der offenbar schon glaubt, dass er zum Zug kommen wird. Er wird schneller hart als je zuvor, und das verdammte Ding kämpft hartnäckig gegen den Reißverschluss meiner Jeans.
Ich wünschte, ich könnte sie jetzt einfach ficken. Sie mir aus dem Kopf vögeln und verdammt noch mal drüber hinweg sein. Aber sie ist nicht die Art von Mädchen, die man einfach fickt. Sie ist die Art von perfektem Mädchen, die man anbetet. Und selbst wenn ich die Art von Typ wäre, der ein Mädchen anhimmelt, sollte ich nicht vergessen, dass sie gerade trauert. Obwohl ich im Moment nur spüre, dass sie diesen Kuss mit der gleichen Hingabe erlebt wie ich.
Zumindest bis sie sich plötzlich zurückzieht, fast schon erschrocken darüber, was sie getan hat.
„Es tut mir leid“, stottert sie eilig.
„Nicht doch, es ist schon gut.“
Ihre Brust bewegt sich unter ihren heftigen Atemzügen auf und ab, genau wie meine und sie versucht, ihr Zurückweichen zu erklären. „Es ist nur so, dass ich nicht … Ich kann nicht … Es tut mir leid.“
„Wirklich, Camryn, es ist in Ordnung.“
„Und ich kenne dich kaum“, fährt sie fort. „Das bin nicht ich.“
„Hey, ich verstehe das.“ Ich streiche mit meinem Finger über die Haut unter ihrem Kinn und hebe es an, damit ich ihr direkt in die schönen Augen sehen kann. „Kein Problem.“ Ich versichere ihr, dass es nichts gibt, was ihr leidtun müsste.
Ich will nicht sagen, dass ich ein Märchenprinz bin, denn ich bin eher der Bösewicht aus den Geschichten, aber ich bin auch kein herzloser Mistkerl. Man muss kein Therapeut sein, um herauszufinden, was in ihrem Kopf und ihrem Herzen gerade vorgeht.
Schuldgefühle.
Aber davon abgesehen, hat sie nicht gelogen. Jemanden zu küssen, den sie gerade erst kennengelernt hat, ist nichts, was sie täglich tut. Mit jemandem auf ein Motorrad zu steigen, den sie gerade erst getroffen hat, ist auch nicht typisch für sie. Sie hat es nur getan, weil sie Dona vertraut, das weiß ich. Aber was auch immer der Grund ist, ich bin froh, dass sie es getan hat. Denn ich konnte spüren, wie sie der Lust nachgab, die offensichtlich in ihr aufgeflammt ist, als ich sie geküsst habe. Einen Moment lang gab es keine Hemmung in ihrem Handeln. Sie hat den Sprung gewagt, trotz ihrer Zweifel. Und die winzigen goldenen Flecken, die ich jetzt im Grau ihrer Augen glitzern sehe, verraten mir, wie sehr sie dieser Kuss noch immer berührt. Auch wenn er nur kurz gewesen ist, hat er ihr gefallen. Ich wette sogar, dass sie ihn nur deshalb beendet hat, weil er ihr gefallen hat.
Warum ist mir das wichtig? Darauf gibt es keine Antwort. Seien wir ehrlich, dieser unvorhergesehene Kuss hat sie aus guten Gründen aus der Bahn geworfen, aber zum Teufel, ich bin mindestens genauso durcheinander. Ich habe keine Ahnung, was ich hier mache. Das Letzte, was ich tun sollte, ist, ein Mädchen wie sie zu küssen. Sie sollte nichts mit einem Typen wie mir anfangen. Einem Kerl, der sie nur verderben kann.
Ich versuche, das Unbehagen zu überspielen, das auf ihren zarten Zügen steht, und sage: „Ich würde gerne länger bleiben, damit du wenigstens einen Stein springen lassen kannst, aber die Chancen stehen schlecht, dass das vor Einbruch der Dunkelheit passiert. Die Jungs werden es mir übel nehmen, wenn ich sie hängen lasse.“
Die seltsame Stimmung ist schon wieder vergessen, als sie den Kopf zur Seite neigt und mich mit einem tadelnden Blick bedenkt – ein Blick, an den ihre Schüler wohl gewöhnt sind –, bevor sie lächelt.
„Ich lasse das durchgehen, aber nur, weil du wahrscheinlich recht hast“, sagt sie ehrlich.
Ich gehe das Risiko ein und greife nach ihrer Hand, so wie ich es auf dem Weg hierher getan habe. Ich bin mir nicht sicher, ob sie die Geste diesmal nicht ablehnen wird. Aus irgendeinem merkwürdigen Grund möchte ich nicht, dass sie denkt, ich sei böse auf sie, weil sie unseren Kuss abgebrochen hat. Zum Glück nimmt sie meine Hand in ihre, und wir gehen schweigend zurück zu meinem Motorrad.
Es gibt keine logische Erklärung für den Wirbelwind von Gefühlen, den dieses Mädchen in mir auslöst. Aber ich weiß jetzt schon, dass ich, selbst wenn ich versuchen würde, auf Abstand zu gehen, bevor ich ihren Kopf – und meinen – weiter durcheinander bringe, dazu nicht in der Lage sein werde.

***

Die Motorräder meiner Brüder stehen alle vor dem Club, als ich das Tor durchquere. Aber als ich durch die Eingangstür trete, herrscht im Clubhaus Stille, abgesehen von klappernden Geräuschen und leiser Musik aus der Küche. Ich beeile mich nicht, gehe jedoch direkt zum Versammlungsraum.
Die meisten meiner Brüder sitzen um den langen Tisch herum, außer Ben, der darauf liegt und mit einem kleinen Ball spielt, den er in die Luft wirft und wieder auffängt.
„Alles klar?“, fragt mich Blane, als ich den Platz am Kopfende des Tisches einnehme.
„Ja, tut mir leid, dass ich zu spät bin.“
„Ich dachte schon, du hättest mit den Spiders gesprochen.“
„Du bist den Spiders begegnet?“, platzt Liam heraus.
„Ja, aber nein. Nichts passiert. Es waren Prospects, die vor dem Diner gewartet haben, als ich ankam, aber sie waren nirgends zu sehen, als ich gegangen bin. Und ich glaube im Endeffekt waren sie auch nicht wegen Cam da. Ich habe allerdings keine Ahnung, warum sie dort waren.“
„Cam?“, wiederholt Jayce.
„Ja, Camryn. Sie ist eine Freundin von Dona. Ich habe sie schon ein paar Mal im Diner gesehen“, erkläre ich ausweichend. „Ich dachte zuerst, die Spiders würden sie beschatten. Ich muss mich geirrt haben.“
Hoffentlich habe ich mich geirrt.
„Sieh mal an, unser Junge benutzt einen Spitznamen für eine Tussi und macht sich Sorgen“, witzelt Ben wie ein Zehnjähriger, der sichtlich stolz auf seinen Kommentar ist.
Deshalb war ich so ausweichend in meiner Erklärung. Ich wusste, dass er nur zu gerne seinen Senf dazu geben würde.
„Halt's Maul, du Idiot.“ Ich starre ihn an, als er sich in seinen Stuhl fallen lässt und den Ball dabei auf dem Tisch vergisst.
„Ja, Prez“, täuscht er Respekt vor, grinst aber immer noch wie ein verdammtes Kind.
Ich fahre fort und wende mich an Blane. „Gibt es schon etwas Neues über die letzte Lieferung?“
Blane ist für den Kommunikationsbereich unserer Geschäfte und den Umgang mit unseren Kunden zuständig. Er ist auch so etwas wie der Geek von uns allen und kennt sich mit dem Computer besser aus als jeder sonst hier.
„Ich habe einen Anruf von Karl erhalten. Der Kunde hat die Lieferung vor drei Stunden bekommen. Karl ist auf dem Rückweg.“
Karl ist ein älteres Mitglied. Er kümmert sich darum, dass die Waren dort ankommen, wo sie sollen, seit er in seinen Zwanzigern seine Patches bekommen hat. Der Club hat sich nie mit Zwischenhändlern eingelassen. Als Isaac den Club gründete, hatten sie anfangs nicht einmal mit illegalen Geschäften zu tun. Keiner von ihnen wollte mit Drogen oder Waffen in Verbindung gebracht werden, also hielten sie sich von gesetzlichen Abwegen fern. Bis Isaac einen Mann traf, der in Straßenrennen verwickelt war. Der Club fühlte sich damit sicher, und sie bauten ihr Geschäft auf. Jetzt ist alles sogar noch sicherer für uns, denn dank neuer Technologien und Blanes Fähigkeiten können wir die Leute, die mit uns Geschäfte machen wollen, genau überprüfen. Beim geringsten dubiosen Anzeichen lassen wir es bleiben. Obwohl der Handel mit Motorrädern mit umgebauten Motoren nicht zu den Geschäften gehört, die für das FBI oberste Priorität haben, kann man nie vorsichtig genug sein. Was die Lieferungen angeht, so haben wir einen Transporteur mit Sitz in Dallas auf unserer Gehaltsliste. Karl ist dort als Angestellter registriert und benutzt einen ihrer Lastwagen, was es einfacher macht, unter dem Radar zu fliegen.
„Gut.“
„Und ich habe eine Nachricht über die Lieferung am nächsten Freitag erhalten. Der Kunde hat um ein weiteres Motorrad gebeten“, sagt Blane.
„Schick mir die Details“, sagt Cody.
Cody ist eines der älteren Mitglieder, wenn auch etwas jünger als Karl. Er ist in den Vierzigern und leitet jetzt hauptsächlich die Reparaturwerkstätten – unsere legalen Geschäfte. Da er sich um die Lagerverwaltung kümmert, ist er auch derjenige, der unser lukratives Nebengeschäft mit den benötigten Teilen versorgt.
Blane nickt ihm zu, bevor er hinzufügt: „Wir haben einen potenziellen Kunden, der offenbar durch Lockhart, unserem Kontakt in Seattle, von uns erfahren hat.“
„Überprüfe ihn“, trage ich ihm auf.
Ein knappes Nicken ist seine Antwort.
„Sonst noch was?“
„Nichts“, erwidert Ben. „Aber das muss nicht unbedingt etwas Gutes heißen. Die Spiders haben sich für meinen Geschmack zu sehr bedeckt gehalten.“
Wir verdächtigen die Spiders seit etwa sechs Monaten, hier einen Menschenhändlerring zu betreiben. Abgesehen von den verdächtigen Vermisstenmeldungen, die sich häufen und uns auf die Spur gebracht haben, haben wir bisher jedoch keine Beweise gefunden, die unseren Verdacht erhärten. Wir wissen nur, dass Rod einen Teil der Kunden, für die er Drogen schmuggelt, an eine Chartergruppe in Phoenix weitergegeben hat. Was bedeutet, dass er eine weitere Geldquelle durch diese Ortsgruppe hat.
Nicht, dass es uns etwas angehen würde, was sie tun, aber diese Art von Aktivität wäre der Untergang für uns, wenn sie größere Organisationen wie Kartelle dazu bringen würde, bei uns herumzuschnüffeln. Außerdem sind wir vielleicht keine Heiligen, aber wir können nicht zulassen, dass Frauen von kranken Wichsern entführt und zur Vergewaltigung verschleppt werden, ohne dass wir einen Finger rühren. Wenn sie wirklich in so eine zwielichtige Sache verwickelt sind, die sehr lukrativ werden kann, werden sie irgendwann mehr Geld wollen. Also mehr Frauen, und unsere Mitglieder haben schließlich auch ihre Alten und Töchter.
„Die müssen etwas im Schilde führen“, stimmt Liam zu. „Sie könnten im Diner zu einem Treffen auf neutralem Boden gewesen sein. Bist du sicher, dass du nicht der Grund warst?“, versucht er, den Anlass für die Anwesenheit der Spiders im Dona‘s zu erraten.
„Das bezweifle ich. Was das Treffen angeht, weiß ich es nicht. Kein Mitglied des inneren Kreises war in Sicht. Wie schon gesagt, es waren Prospects, und sie haben mir kaum einen Blick zugeworfen, als ich geparkt habe. Sie haben nicht so reagiert, als ob sie wüssten, wer ich bin. Und zwanzig Minuten später waren sie wieder weg. Ich werde die Augen offen halten, aber ansonsten gibt es nicht viel zu tun. Sonst noch was?“, frage ich niemanden speziell.
Mehrere Neins hallen im Raum wider, also stehe ich auf. Ich will nicht mehr an die Spiders denken. Es gibt nur ein Gesicht, das ich im Kopf haben will. Dieser Kuss hat meinen Verstand durcheinander gebracht. Die Erinnerung will verdammt noch mal nicht verschwinden, und jedes Mal, wenn sie sich in meinem Kopf wiederholt, schießt ein Stoß des Verlangens durch meinen Schwanz.
Jayce, mein bester Freund und Vizepräsident, ist an meiner Seite, als ich aus dem Zimmer schlendere.
„Was ist denn mit dem Mädel gelaufen?“
„Nichts. Die Spiders hatten ein Auge auf sie geworfen, und ich wollte ihren Background überprüfen, weil Dona sich um sie zu sorgen scheint. Aber Blane hat keine Verbindungen gefunden.“
„Wenn du weiter dorthin gehen willst, sei vorsichtig.“
„Wie immer“, erinnere ich ihn und klopfe ihm auf die Schulter.
Während sie darauf warten, dass das Mittagessen fertig ist, lassen sich die Jungs auf die Sofas fallen, die meisten von ihnen öffnen ein Bier, auch Jayce gesellt sich zu ihnen. Die Gespräche gehen an mir vorbei, während ich die Treppe zu meinem Zimmer hochlaufe und mein Bad betrete. In meinem Kopf entstehen Bilder und Empfindungen, die mit der schönen Brünetten zu tun haben, die mir die ganze Woche nicht aus dem Kopf gegangen ist. Und nachdem ich die Süße ihrer Lippen gekostet habe, bezweifle ich, dass sich das so bald ändern wird. Alles, was ich will, ist, sie wieder zu küssen. Und wenn sie mich ließe, würde ich noch so viel mehr tun, um ihren Körper zu beleben, der geradezu danach verlangt, dass ich ihn berühre.