The Bottom of my Heart

Er­schie­nen: 05/2017

Genre: Soft-SM / BDSM
Zu­sätz­lich: Con­tem­pora­ry

Lo­ca­ti­on: New York


Er­hält­lich als:
pa­per­back & ebook

ISBN:
Print: 978-3-86495-294-4
ebook: 978-3-86495-295-1

Preis:
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ebook: 6,99 €[D]

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The Bottom of my Heart


In­halts­an­ga­be

Als Jesse Ful­ler auf die tem­pe­ra­ment­vol­le New Yor­ke­rin Daisy trifft, sieht es nicht so aus, als ob ihre Be­geg­nung unter einem güns­ti­gen Stern steht. Nicht nur, dass sie sich wei­gert, seine geld­kräf­ti­ge Of­fer­te an­zu­neh­men, als er ihr den Slo­gan ihres Deli Re­stau­rants ab­kau­fen will, nein, sie de­mü­tigt ihn oben­drein noch in aller Öf­fent­lich­keit.

Jes­ses Freun­din und Ge­schäfts­part­ne­rin Car­o­lyn macht sich Jes­ses ver­let­ze Ge­füh­le zu­nut­ze und über­re­det ihn dazu, sich an Daisy zu rä­chen. Sein Vor­ha­ben schei­tert je­doch ein zwei­tes Mal. Als Daisy seine Pläne durch­schaut, ist sie ih­rer­seits dar­auf aus, Jesse Ful­ler einen Denk­zet­tel zu ver­pas­sen. Doch an­statt es ihm heim­zu­zah­len, öff­net die de­vo­te Daisy ihm die Tür zur Welt der Do­mi­nanz und Hin­ga­be.

Wäh­rend sie sich mehr und mehr in ihn ver­liebt, fürch­tet sie gleich­zei­tig um den Ver­lust sei­ner Liebe – denn Daisy ent­hält ihm eine In­for­ma­ti­on vor, die alles än­dern könn­te und die zur ti­cken­den Zeit­bom­be für ihre noch zer­brech­li­che Be­zie­hung wird …

Ein ro­man­ti­scher BDSM-Ro­man. 

 

Über die Au­to­rin

Die Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin An­na­bel Rose kam erst über Um­we­ge zum Schrei­ben ero­ti­scher Li­te­ra­tur. Warum aus­ge­rech­net ero­ti­sche Li­te­ra­tur? Weil ihrer Mei­nung nach Ero­tik und Sex wich­ti­ger Be­stand­teil im Leben eines jeden Men­schen ist. 

An­na­bel Rose liebt Frank­reich und den Süden, Kat­zen, in­tel­li­gen­te Ge­sprä­che,...

Wei­te­re Bü­cher der Au­to­rin

Le­se­pro­be

XXL-Le­se­pro­be bei Boo­k2­Look

 

Das Taxi hielt vor dem Hotel Lex­ing­ton. Jesse be­zahl­te den Fah­rer und stieg aus. Es reg­ne­te. Jesse seufz­te, denn er hatte kei­nen Schirm dabei. Warum auch? In Ka­li­for­ni­en war Regen um diese Jah­res­zeit eine Sel­ten­heit. Dass das auf New York nicht zu­traf, daran hatte er nicht ge­dacht. Zum Glück waren es bis zum Ho­tel­ein­gang nur ein paar Schrit­te. Jesse er­griff sei­nen Kof­fer und be­trat die Ein­gangs­hal­le. Nach we­ni­gen Mi­nu­ten hatte er ein­ge­checkt und in­spi­zier­te das Zim­mer. Es war nicht be­son­ders groß, dafür aber sau­ber und mo­dern ein­ge­rich­tet. Aus­rei­chend für das, was er vor­hat­te. Ein Grol­len im Bauch...

...​ließ ihn auf die Uhr gu­cken. Halb neun. Zeit fürs Abend­es­sen. An­ge­sichts des Sau­wet­ters be­schloss Jesse, im Ho­tel­re­stau­rant zu essen. New York lief nicht weg, die Stadt konn­te er sich auch mor­gen an­se­hen.

Am nächs­ten Mor­gen reg­ne­te es immer noch, der Him­mel war wol­ken­ver­han­gen. Schien in die­ser Stadt denn nie­mals die Sonne? Jesse ließ sich mit dem Taxi zu Bloo­m­ing­da­le’s brin­gen, das nur ein paar Stra­ßen ent­fernt war. Als er dort ankam, war das Kauf­haus noch ge­schlos­sen. Ge­mein­sam mit an­de­ren Kun­den war­te­te er unter einem Vor­dach dar­auf, dass sich die Türen des Kon­sum­tem­pels öff­ne­ten.

Punkt zehn Uhr war es so weit. Ein uni­for­mier­ter Tür­ste­her schloss auf und be­grüß­te die ers­ten Käu­fer mit einem freund­li­chen Gruß. Jesse be­trat zu­sam­men mit den an­de­ren Leu­ten das Ge­schäft und ver­such­te, sich zu ori­en­tie­ren. Aus den Laut­spre­chern des Kauf­hau­ses er­tön­ten ein paar Takte Musik in mar­kan­tem Rhyth­mus, bevor Fran­kies un­ver­kenn­ba­re Stim­me er­klang: Start sprea­ding the news. I’m lea­ving today. I want to be a part of it, New York, New York …

Auf der Suche nach dem nächs­ten Weg­wei­ser be­weg­te Jesse sich mit zü­gi­gen Schrit­ten durch die Par­fü­me­rie­ab­tei­lung, bis er vor einem be­leuch­te­ten, auf­ra­gen­den Pa­neel stand.

Re­gen­schir­me, Re­gen­schir­me, Regen… ah! Re­gen­schir­me gab es im Erd­ge­schoss. Aber wo in die­sem un­über­schau­ba­ren Wa­rend­schun­gel? Sein Weg führ­te ihn an Le­der­ta­schen be­rühm­ter Mo­de­de­si­gner vor­bei und dann sah er sie: Re­gen­schir­me in allen Far­ben und Grö­ßen. Er ent­schied sich für einen schwar­zen Stock­schirm und begab sich schnur­stracks zur Kasse.

If I can make it there, I’m gonna make it anyw­he­re, schmet­ter­te Fran­kie durch das Lu­xus­kauf­haus.

Jesse nahm es als gutes Omen. Er zahl­te und ver­ließ das Ge­schäft.

Was fas­zi­nier­te die Leute nur so an New York? Er spann­te den Schirm auf und ging die Stra­ße hin­un­ter. Das Wet­ter war je­den­falls grau­en­voll. Dabei war es erst Sep­tem­ber. Einer der schöns­ten und wärms­ten Mo­na­te in Ka­li­for­ni­en. Hier da­ge­gen quetsch­ten sich die Leute mit den Re­gen­schir­men an­ein­an­der vor­bei, immer auf­pas­send, dass man sich nicht ins Ge­he­ge kam und einem der Wind nicht den Schirm aus der Hand riss.

Er stieg, den Re­gen­schirm im Gehen zu­sam­men­fal­tend, die Trep­pen zur New Yor­ker U-Bahn hin­un­ter. Wäh­rend der Fahrt hatte er ge­nü­gend Zeit, um sich noch ein­mal zu über­le­gen, was er der Schrul­le Ma­ri­no sagen woll­te. Er tas­te­te nach dem Brief­um­schlag in der In­nen­ta­sche sei­ner Jacke. Nur ein Voll­trot­tel würde die Summe ab­leh­nen, die auf dem Scheck stand, der sich darin be­fand.

An der Chris­to­pher Street ver­ließ Jesse die Sub­way. Am Him­mel zeig­te sich eine Wol­ken­lü­cke. Die Sonne ließ sich bli­cken. Der Wind hatte die Re­gen­wol­ken of­fen­bar weg­ge­pus­tet. 

Mo­ment mal! Regen? Ver­dammt! Er hatte den Schirm in der U-Bahn lie­gen las­sen. Jesse är­ger­te sich über seine Nach­läs­sig­keit. Ver­schwen­dung war ihm ein Gräu­el. 

Das Son­nen­licht blen­de­te ihn. Zum Glück hatte er seine Son­nen­bril­le immer dabei. Er kram­te sie aus sei­ner In­nen­ta­sche her­vor, setz­te sie auf und knöpf­te die Jeans­ja­cke zu. Auch wenn die Sonne sich zeig­te, war der Wind alles an­de­re als warm. Ein Blick auf die Na­vi­ga­ti­ons­funk­ti­on sei­nes Han­dys ge­nüg­te, um den Weg zu sei­ner Wi­der­sa­che­rin zu er­ken­nen. Jesse ging die Chris­to­pher Street ein Stück ent­lang und bog am Wa­ver­ly Place rechts ab. Die­ses Vier­tel sah gar nicht so aus wie das New York, das er aus dem Fern­se­hen und den Nach­rich­ten kann­te. Die Häu­ser aus rotem Back­stein mit den schmie­de­ei­ser­nen Bal­ko­nen und Feu­er­lei­tern an den Fas­sa­den waren ma­xi­mal sechs bis acht Stock­wer­ke hoch. Ge­ra­de­zu win­zig im Ver­gleich zu den Wol­ken­krat­zern im nörd­li­che­ren Man­hat­tan. Alles war hier etwas klei­ner, be­schau­li­cher, fa­mi­liä­rer. In­ter­es­siert schlen­der­te Jesse an den vie­len ori­gi­nel­len Läden vor­bei, an Re­stau­rants und Bars mit teil­wei­se deut­li­chem Gay-Touch. Da­zwi­schen ein Fri­seur­sa­lon, eine Buch­hand­lung und – er woll­te es kaum glau­ben – ein Schall­plat­ten­la­den! Und al­le­samt sahen sie so aus, als ob die Zeit im letz­ten Jahr­hun­dert ste­hen ge­blie­ben wäre. Bunt, schil­lernd und krea­tiv prä­sen­tier­te sich das Vier­tel, ein biss­chen wie die SoMa in San Fran­cis­co. Jesse fühl­te sich bei­na­he hei­misch. Er bog um die nächs­te Ecke in die Mac­dou­gal Street, wo das Deli der wi­der­spens­ti­gen alten Schach­tel lag, das er we­ni­ge Au­gen­bli­cke spä­ter er­reich­te.

Er blieb einen Mo­ment vor dem Schau­fens­ter ste­hen. Daisy’s Deli prang­te in ge­schwun­ge­nen Buch­sta­ben auf dem Schau­fens­ter – mit einem Gän­se­blüm­chen als i in Daisy. Dar­un­ter etwas klei­ner: de­li­cious food to ta­ke-out or sit-down – und schließ­lich der ver­hass­te Slo­gan: De­light, De­light­ful­ler, Daisy’s.

Das In­ne­re mach­te einen auf­ge­räum­ten Ein­druck, trotz der kit­schi­gen run­den Ti­sche auf der an­de­ren Seite des Schau­fens­ters, die eben­falls den Gän­se­blüm­chen-Look tru­gen. Die Be­sit­ze­rin hatte of­fen­bar ihren Namen zum Motto des Ge­schäfts ge­macht. Wie kin­disch! Um jeden Tisch waren vier Stüh­le ar­ran­giert, nur zwei Ti­sche waren be­setzt. Wei­ter hin­ten im Laden be­dien­te eine Ver­käu­fe­rin eine Kun­din, die sich an einer Theke mit Käse- und Wurst­spe­zia­li­tä­ten be­ra­ten ließ; eine zwei­te Ver­käu­fe­rin, eine at­trak­ti­ve Brü­net­te, stand hin­ter einer wei­te­ren Theke und sor­tier­te das Ge­bäck in der Vi­tri­ne. Der Laden schien nicht ge­ra­de eine Gold­gru­be zu sein. Es soll­te ein Leich­tes sein, die alte Schnep­fe davon zu über­zeu­gen, sein Geld zu neh­men und auf ihren Wahl­spruch zu ver­zich­ten. Al­ler­dings war von der Schnep­fe nichts zu sehen. Kein Pro­blem! Be­stimmt konn­te ihm eine der bei­den nied­li­chen Ver­käu­fe­rin­nen sagen, wo die In­ha­be­rin zu fin­den war. Jesse war be­reit. Er er­griff den Tür­knauf und be­trat den Laden. Die Schlacht konn­te be­gin­nen.

»Pro­bie­ren Sie un­se­re Fen­chel­sa­la­mi, Mrs. Cole­man. Sie ist mit Chi­an­ti ver­fei­nert. Ideal für Cros­ti­ni oder An­ti­pas­ti …«

Die Kun­din nahm die Kost­pro­be ent­ge­gen, Jesse wand­te sich der dun­kel­haa­ri­gen Ver­käu­fe­rin zu. Sie dreh­te ihm ge­ra­de den Rü­cken zu und holte Ba­gels und Do­nuts aus einem Korb. Jes­ses Blick fiel un­frei­wil­lig auf ihre schma­le Tail­le und den wohl­ge­form­ten Hin­tern. Nicht zu ver­ach­ten, die Klei­ne, dach­te er und fand seine Ge­dan­ken be­stä­tigt, als sie ihm ihre Vor­der­sei­te zu­wand­te. Lange brau­ne Haare um­schlos­sen ein ova­les Ge­sicht, aus dem zwei mee­res­blaue Augen her­aus­schau­ten, die leb­haft leuch­te­ten.

»Womit kann ich Ihnen hel­fen, Sir?«, klang eine me­lo­diö­se Stim­me aus dem herz­för­mi­gen Mund.

»Kann ich einen Kaf­fee be­kom­men?«

Er schob die Son­nen­bril­le über die Stirn ins Haar und be­trach­te­te sie ge­nau­er. Sein Blick glitt über den Aus­schnitt ihrer Bluse, aus dem der An­satz ihres De­kol­letés her­aus­schau­te. Rei­zend! Er be­merk­te, dass ihr Mund ein Stück auf­klapp­te. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lip­pen. Woll­te sie ihn an­ma­chen? Das war gar nicht nötig. Er fand sie auch so aus­ge­spro­chen an­zie­hend.

»Selbst­ver­ständ­lich … Sir«, ant­wor­te­te die lieb­li­che Stim­me, ihre Augen al­ler­dings starr­ten ihn an, als hätte sie einen Geist ge­se­hen. Sie stand wie fest­ge­wach­sen und be­weg­te sich kei­nen Zen­ti­me­ter vom Fleck.

»Ist alles in Ord­nung, Miss? Oder füh­len Sie sich nicht wohl?«, er­kun­dig­te er sich vor­sichts­hal­ber.

Sie schien seine Frage nicht ge­hört zu haben, denn sie ging nicht dar­auf ein. 

Statt­des­sen sagte sie: »Sie … Sie … haben brau­ne Augen. Ha… ha… ha­sel­nuss­brau­ne Augen.«

Er lä­chel­te sie an. »Ist das ein Ver­bre­chen?«

Sie schüt­tel­te den Kopf. »Sie sind mein Traum …«, fuhr sie fort und lief rot an. »Ich meine … ich meine … ich habe von Ihnen ge­träumt. Also nicht so, aber … die Son­nen­bril­le. Und Sie. Im Traum … Ich habe davon ge­träumt. Ver­ste­hen Sie …?«

Je mehr sie sich ver­has­pel­te, umso brei­ter wurde sein Grin­sen. War sie nicht süß? Es war lange her, dass er eine Frau nur durch Blick­kon­takt so sehr aus dem Kon­zept ge­bracht hatte. Die ro­si­gen Wan­gen stan­den ihr üb­ri­gens aus­ge­zeich­net. Und wenn er sich nicht irrte, dann wäre es ein Kin­der­spiel, die klei­ne Maus für heute Abend ein­zu­la­den – und viel­leicht nähme die­ser Abend ja noch eine ganz an­de­re Wen­dung. Eine, zu der er – an­ge­sichts von Car­o­lyns ei­si­ger Zu­rück­hal­tung in der letz­ten Zeit – si­cher nicht Nein sagen würde. Ihm lief be­reits das Was­ser im Munde zu­sam­men, wenn er daran dach­te, wie es sich an­füh­len muss­te, ihre zwei­fels­oh­ne üp­pi­gen Brüs­te in den Hän­den zu hal­ten oder sich in ihren ent­zü­cken­den run­den Hin­tern zu kral­len, wäh­rend er tief in sie stieß und ihr be­zau­bern­der Kuss­mund Laute her­vor­brach­te, die sei­nen Schwanz ex­plo­die­ren las­sen wür­den.

»Ehr­lich ge­sagt, ich ver­ste­he kein Wort«, gab er zu. »Aber ich hätte nichts da­ge­gen, wenn Sie es mir er­klä­ren wür­den. Viel­leicht heute Abend? Beim Essen?«

»Beim Essen?«, wie­der­hol­te sie, als hätte sie ihn nicht rich­tig ver­stan­den. »Das … das geht nicht.«

»Warum denn nicht?«, in­sis­tier­te er. »Hat Ihre Che­fin Ihnen etwa ver­bo­ten, Ein­la­dun­gen von Kun­den an­zu­neh­men?«

Sie schüt­tel­te den Kopf. »Nein, Sir.«

»Ah, jetzt weiß ich: Sie haben einen Freund und der hat etwas da­ge­gen, wenn Sie mit frem­den Män­nern aus­ge­hen. Das ver­ste­he ich na­tür­lich.« Er beug­te sich ein Stück über die Theke zu ihr hin­über und flüs­ter­te: «Wenn ich er wäre, hätte ich auch etwas da­ge­gen.«

Sie wurde noch einen Tick roter und schüt­tel­te wie­der den Kopf. »Nein, das ist es nicht …«

»Nein? Kein Freund? Dann wüss­te ich nicht, was da­ge­gen spricht.« An der Art und Weise, wie sie ihn ansah, be­merk­te er, dass sie kurz davor war, Ja zu sagen. Um ihr den letz­ten Schubs in die rich­ti­ge Rich­tung zu ver­pas­sen, ent­schloss er sich zu einer Not­lü­ge. »Kom­men Sie. Geben Sie mir eine Chan­ce. Ich bin neu in der Stadt und kenne sonst nie­man­den. Leis­ten Sie mir an mei­nem ers­ten Abend in New York Ge­sell­schaft. Bitte!« Er fi­xier­te sie mit den Augen. »Wäre das wirk­lich so schlimm?«

»Nein.« 

Sie wich sei­nem Blick aus, schau­te ihn dann aber wie­der an. Oh Mann! Die­ser Au­gen­auf­schlag! Was würde er dafür geben, wenn sie ihm dabei einen bla­sen würde!

»Aber … Sie kön­nen mich doch nicht ein­fach zum Essen ein­la­den. Ich kenne Sie doch über­haupt nicht.«

»Genau des­halb möch­te ich Sie ja ein­la­den. Um Sie ken­nen­zu­ler­nen. Und wis­sen Sie was? Wir fan­gen am bes­ten so­fort damit an.« Er streck­te ihr die Hand über den Tre­sen ent­ge­gen. »Ich bin Jesse. Jesse Ful­ler. Und wie hei­ßen Sie?«

Sie sah aus, als würde sie aus einem Traum er­wa­chen. Die blau­en Augen fun­kel­ten ihn an, die Pu­pil­len hat­ten sich zu klei­nen Punk­ten zu­sam­men­ge­zo­gen, die Stirn war ge­run­zelt.

»Mis­ter … Ful­ler«, wie­der­hol­te sie ton­los. »Jesse Ful­ler?«

»Ja, rich­tig.« Er hielt ihr immer noch die aus­ge­streck­te Hand hin. Was war denn auf ein­mal mit ihr los?

»Sie sind Jesse Ful­ler?«, frag­te sie mit einem schar­fen Un­ter­ton, jedes Wort dabei be­to­nend.

Ir­gend­et­was stimm­te hier nicht. Er zog die Hand zu­rück.

»Ja. Und ver­ra­ten Sie mir auch Ihren Namen?«

»Ra­chel«, sagte sie laut und deut­lich zu der Ver­käu­fe­rin am an­de­ren Ende der Theke, »weißt du, wer das ist?« Sie war­te­te Ra­chels Ant­wort nicht ab, son­dern fuhr fort: »Das ist Mr. Jesse Ful­ler aus San Fran­cis­co. Mr. Ful­ler, des­sen An­walt mir seit Mo­na­ten Brie­fe schreibt, in denen er be­haup­tet, unser Slo­gan schä­di­ge den Ruf von Mr. Ful­ler, und wir soll­ten uns des­halb einen an­de­ren über­le­gen.«

Er­staun­tes Ge­mur­mel er­klang hin­ter Jes­ses Rü­cken. Ver­wun­dert be­merk­te er, dass sich wäh­rend des Flirts mit der nied­li­chen Ver­käu­fe­rin eine Schlan­ge in dem Laden ge­bil­det hatte.

»Miss … Da Sie of­fen­bar gut in­for­miert sind, soll­ten wir nicht bes­ser in Ruhe …«

»Mrs. für Sie!«, un­ter­brach sie ihn. »Mrs. Ma­ri­no, um genau zu sein.«

»Mrs. … Ma­ri­no …« Er ver­schluck­te sich fast an dem Wort, dann – mit einer Se­kun­de Ver­zö­ge­rung – kam die In­for­ma­ti­on in sei­nem Hirn an. OH SHIT! »Sie sind Daisy Ma­ri­no? Die In­ha­be­rin?«

»Sehr rich­tig. Höchst­per­sön­lich, live und in Farbe. Und ich würde vor­schla­gen, dass Sie sagen, wes­halb Sie her­ge­kom­men sind, denn wie Sie sehen, habe ich Kun­den zu be­die­nen.«

Ver­dammt! Das mit dem Essen und dem Sex da­nach konn­te er wohl ab­ha­ken.

»Mrs. Ma­ri­no«, ver­such­te er, sie zu be­schwich­ti­gen, »soll­ten wir die An­ge­le­gen­heit nicht bes­ser in Ruhe in Ihrem Büro …«

»Mr. Ful­ler!«, un­ter­brach sie ihn un­ge­hal­ten. »Es tut mir leid, aber ich habe nicht so viel Zeit. Kom­men Sie lie­ber zur Sache. Also: Wes­halb sind Sie her­ge­kom­men?«

Es war so still im Ge­schäft, dass man den Flü­gel­schlag eines Schmet­ter­lings hätte hören kön­nen. Kei­ner der An­we­sen­den schien auch nur das Ge­rings­te von dem, was jetzt pas­sie­ren soll­te, ver­pas­sen zu wol­len. Jesse kam sich vor wie in einem Thril­ler, kurz vor dem Show­down. Er sah ein, dass ihm nicht viele Mög­lich­kei­ten blie­ben. Aber einen Trumpf hatte er noch im Ärmel. Oder bes­ser ge­sagt in der Ja­cken­ta­sche.

»Na schön. Meine For­de­rung ken­nen Sie. Ich blei­be dabei. Und viel­leicht …«, er zog den Um­schlag aus dem In­nen­fut­ter der Jacke, »hilft Ihnen das hier ja, Ihre Ent­schei­dung noch ein­mal zu über­den­ken.«

Sie nahm den Um­schlag mit einem spöt­ti­schen Blick ent­ge­gen, öff­ne­te ihn und holte den Scheck her­aus. Die Ver­än­de­rung ihres Ge­sichts­aus­drucks war eine Ge­nug­tu­ung für Jes­ses an­ge­kratz­tes Ego. Ihr Mund klapp­te auf, und die Augen fun­kel­ten und glänz­ten so sehr, dass er hätte schwö­ren kön­nen, darin Dol­lar­zei­chen zu er­ken­nen. Jeder hatte eben sei­nen Preis. Und Jesse hatte sein letz­tes An­ge­bot nicht nur leicht er­höht, son­dern er hatte es ver­dop­pelt. Ein­hun­dert­fünf­zig­tau­send Dol­lar. Eine ver­flucht hohe Summe. Mehr als er je zu bie­ten be­ab­sich­tigt hatte. Aber hier ging es ums Prin­zip – und um sei­nen Stolz. Der Blick in das Ge­sicht von Daisy Ma­ri­no war je­doch jeden Cent wert. Selbst ein Blin­der hätte er­kannt, dass Miss Zicke Ma­ri­no ins Wan­ken ge­riet und der Ver­su­chung des Gel­des nur noch schwer wi­der­ste­hen konn­te. Genau der rich­ti­ge Zeit­punkt, um ihr den letz­ten Stoß zu ver­pas­sen.

»Be­den­ken Sie, was Sie damit alles tun könn­ten«, raun­te er ihr ver­trau­ens­voll zu. 

Sie schluck­te, nick­te kaum merk­lich. Of­fen­bar hatte es ihr die Spra­che ver­schla­gen. 

Er setz­te noch einen drauf: »Viel­leicht die Er­fül­lung eines lang ge­heg­ten Wun­sches?«

Sie sah ihn mit gro­ßen Augen an. Bingo! Er hatte ins Schwar­ze ge­trof­fen. Ihre Lip­pen zit­ter­ten. Gleich würde sie Ja sagen.

»Das ist wirk­lich … sehr viel Geld«, sagte sie klein­laut. »Sehr, sehr viel Geld.«

Er spür­te, wie die Luft vor Span­nung knis­ter­te. Das ganze Lokal hielt den Atem an. Alle war­te­ten dar­auf, wel­che Ent­schei­dung sie tref­fen würde, als plötz­lich Un­ru­he in der Schlan­ge ent­stand.

»Lasst mich durch«, hörte Jesse eine krat­zi­ge, raue Stim­me vom an­de­ren Ende des Ge­schäfts. »Lasst mich doch mal durch.« Die Stim­me kam näher. »Was ist hier los, Miss Daisy? Wieso geht es nicht wei­ter? Die Leute wol­len be­dient wer­den.«

Jesse er­blick­te einen Mann, den er auf Mitte fünf­zig schätz­te. Er trug einen ver­schlis­se­nen Tweed­man­tel und eine ab­ge­wetz­te Jeans. Sein grau­es Haar war strub­be­lig und hing ihm ins Ge­sicht, der Bart war un­ge­pflegt und hatte eine Rasur mehr als nötig – und wenn sich seine Nase nicht täusch­te, dann könn­te der Typ neben ihm au­ßer­dem drin­gend ein Bad ver­tra­gen. Was hatte der Kerl hier ver­lo­ren? Und was fiel ihm ein, sich un­ge­fragt vor­zu­drän­geln und das Ge­spräch zu un­ter­bre­chen?

»Ich glau­be, das geht Sie nichts an«, sagte er be­stim­mend zu dem Grau­haa­ri­gen. »Ich führe hier ge­ra­de ein wich­ti­ges Ge­spräch mit Mrs. Ma­ri­no. Und …«

»Hat er Sie be­läs­tigt, Miss Daisy? Soll ich den Lack­af­fen raus­schmei­ßen?«, un­ter­brach ihn der Alte.

Lack­af­fe? Hatte der Pen­ner ihn Lack­af­fe ge­nannt? Jes­ses Puls schoss in die Höhe. Stün­de nicht so viel auf dem Spiel, würde er dem Kerl zei­gen, wo der Ham­mer hing. Er ball­te die Fäus­te zu­sam­men und press­te die Kie­fer ge­gen­ein­an­der. Noch ein Wort von dem stin­ken­den Un­ge­heu­er und er wäre am Ende sei­ner Ge­duld. Unter Auf­bie­tung aller Selbst­be­herr­schung straf­te er den Alten mit einem ver­ächt­li­chen Blick und wand­te sich wie­der der In­ha­be­rin zu.

»Ich glau­be, Sie woll­ten etwas sagen, bevor wir … un­ter­bro­chen wur­den. Also: Neh­men Sie mein An­ge­bot an?«

»Nun ja, ich muss sagen, es ist wirk­lich über­aus groß­zü­gig … mit so einer Summe könn­te ich …«

»Miss Daisy …«

Der Alte ver­such­te schon wie­der, sich da­zwi­schen­zu­drän­gen, doch die­ses Mal ließ Jesse sich von dem Penn­bru­der nicht aus­brem­sen: »Grei­fen Sie zu. Je eher Sie Ja sagen, umso schnel­ler sind Sie mich los und umso schnel­ler kön­nen Sie Ihre Kun­den be­die­nen.« Bei dem letz­ten Satz warf er einen ab­schät­zi­gen Blick auf den Mann neben sich und fügte leise mur­melnd hinzu: »Wobei man bei einem Pen­ner ja wohl schwer­lich von Kunde reden kann.«

Er hatte die Worte kaum aus­ge­spro­chen, als er be­merk­te, dass er einen Feh­ler ge­macht hatte. Mrs. Ma­ri­no be­dach­te ihn mit einem Blick, der ihn auf der Stel­le hätte tot um­fal­len las­sen, wenn das mög­lich ge­we­sen wäre.

»Wie haben Sie Henry ge­ra­de ge­nannt?«, frag­te sie mit einem schar­fen Un­ter­ton. »Henry ist kein Pen­ner, son­dern ob­dach­los. Und das ist er nicht ohne Grund. Dar­über hin­aus ist er mein Freund und Stamm­kun­de.«

Er woll­te etwas er­wi­dern, doch sie hatte sich der­art in Rage ge­re­det, dass sie nicht zu brem­sen war.

»Den­ken Sie etwa, Henry nimmt Al­mo­sen von mir an? Dazu ist er viel zu stolz. Er be­zahlt wie jeder an­de­re hier, und zwar mit Hilfs­be­reit­schaft. Eine Wäh­rung, die Ihnen ver­mut­lich un­be­kannt ist, Mr. Ful­ler. Sie den­ken wahr­schein­lich, dass Sie mit einem net­ten Lä­cheln und Geld alles kau­fen kön­nen. Wis­sen Sie was?« Sie we­del­te mit dem Scheck vor sei­ner Nase herum. »Ste­cken Sie sich Ihre Dol­lars sonst wo hin!« Sie zer­riss das Pa­pier vor den Augen aller An­we­sen­den in klei­ne Fet­zen und warf sie mit einer thea­tra­li­schen Hand­be­we­gung in die Luft. »Mich kön­nen Sie je­den­falls nicht kau­fen. Guten Tag, Mr. Ful­ler!«

Ein Joh­len und Pfei­fen setz­te in dem Ge­schäft ein, ei­ni­ge Kun­den ap­plau­dier­ten, viele lach­ten oder grins­ten. Jesse hatte ge­po­kert – und haus­hoch ver­lo­ren. Die Nie­der­la­ge war bit­ter. Er wuss­te, dass er nur einen Hauch vom Sieg ent­fernt ge­we­sen war. Wenn ihm nur die­ser ver­damm­te Pen­ner nicht da­zwi­schen­ge­funkt hätte … Statt­des­sen hatte die Klei­ne ihn ge­de­mü­tigt. Ihn. Jesse Ful­ler. Und oben­drein vor allen Leu­ten! Wenn sie glaub­te, dass damit das letz­te Wort ge­spro­chen war, irrte sie sich ge­wal­tig.

»Das wird Ihnen noch leid­tun«, sagte er fros­tig und ver­ließ mit er­ho­be­nem Haupt das Ge­schäft.

Das Taxi hielt vor dem Hotel Lex­ing­ton. Jesse be­zahl­te den Fah­rer und stieg aus. Es reg­ne­te. Jesse seufz­te, denn er hatte kei­nen Schirm dabei. Warum auch? In Ka­li­for­ni­en war Regen um diese Jah­res­zeit eine Sel­ten­heit. Dass das auf New York nicht zu­traf, daran hatte er nicht ge­dacht. Zum Glück waren es bis zum Ho­tel­ein­gang nur ein paar Schrit­te. Jesse er­griff sei­nen Kof­fer und be­trat die Ein­gangs­hal­le. Nach we­ni­gen Mi­nu­ten hatte er ein­ge­checkt und in­spi­zier­te das Zim­mer. Es war nicht be­son­ders groß, dafür aber sau­ber und mo­dern ein­ge­rich­tet. Aus­rei­chend für das, was er vor­hat­te. Ein Grol­len im Bauch ließ ihn auf die Uhr gu­cken. Halb neun. Zeit fürs Abend­es­sen. An­ge­sichts des Sau­wet­ters be­schloss Jesse, im Ho­tel­re­stau­rant zu essen. New York lief nicht weg, die Stadt konn­te er sich auch mor­gen an­se­hen.

Am nächs­ten Mor­gen reg­ne­te es immer noch, der Him­mel war wol­ken­ver­han­gen. Schien in die­ser Stadt denn nie­mals die Sonne? Jesse ließ sich mit dem Taxi zu Bloo­m­ing­da­le’s brin­gen, das nur ein paar Stra­ßen ent­fernt war. Als er dort ankam, war das Kauf­haus noch ge­schlos­sen. Ge­mein­sam mit an­de­ren Kun­den war­te­te er unter einem Vor­dach dar­auf, dass sich die Türen des Kon­sum­tem­pels öff­ne­ten.

Punkt zehn Uhr war es so weit. Ein uni­for­mier­ter Tür­ste­her schloss auf und be­grüß­te die ers­ten Käu­fer mit einem freund­li­chen Gruß. Jesse be­trat zu­sam­men mit den an­de­ren Leu­ten das Ge­schäft und ver­such­te, sich zu ori­en­tie­ren. Aus den Laut­spre­chern des Kauf­hau­ses er­tön­ten ein paar Takte Musik in mar­kan­tem Rhyth­mus, bevor Fran­kies un­ver­kenn­ba­re Stim­me er­klang: Start sprea­ding the news. I’m lea­ving today. I want to be a part of it, New York, New York …

Auf der Suche nach dem nächs­ten Weg­wei­ser be­weg­te Jesse sich mit zü­gi­gen Schrit­ten durch die Par­fü­me­rie­ab­tei­lung, bis er vor einem be­leuch­te­ten, auf­ra­gen­den Pa­neel stand.

Re­gen­schir­me, Re­gen­schir­me, Regen… ah! Re­gen­schir­me gab es im Erd­ge­schoss. Aber wo in die­sem un­über­schau­ba­ren Wa­rend­schun­gel? Sein Weg führ­te ihn an Le­der­ta­schen be­rühm­ter Mo­de­de­si­gner vor­bei und dann sah er sie: Re­gen­schir­me in allen Far­ben und Grö­ßen. Er ent­schied sich für einen schwar­zen Stock­schirm und begab sich schnur­stracks zur Kasse.

If I can make it there, I’m gonna make it anyw­he­re, schmet­ter­te Fran­kie durch das Lu­xus­kauf­haus.

Jesse nahm es als gutes Omen. Er zahl­te und ver­ließ das Ge­schäft.

Was fas­zi­nier­te die Leute nur so an New York? Er spann­te den Schirm auf und ging die Stra­ße hin­un­ter. Das Wet­ter war je­den­falls grau­en­voll. Dabei war es erst Sep­tem­ber. Einer der schöns­ten und wärms­ten Mo­na­te in Ka­li­for­ni­en. Hier da­ge­gen quetsch­ten sich die Leute mit den Re­gen­schir­men an­ein­an­der vor­bei, immer auf­pas­send, dass man sich nicht ins Ge­he­ge kam und einem der Wind nicht den Schirm aus der Hand riss.

Er stieg, den Re­gen­schirm im Gehen zu­sam­men­fal­tend, die Trep­pen zur New Yor­ker U-Bahn hin­un­ter. Wäh­rend der Fahrt hatte er ge­nü­gend Zeit, um sich noch ein­mal zu über­le­gen, was er der Schrul­le Ma­ri­no sagen woll­te. Er tas­te­te nach dem Brief­um­schlag in der In­nen­ta­sche sei­ner Jacke. Nur ein Voll­trot­tel würde die Summe ab­leh­nen, die auf dem Scheck stand, der sich darin be­fand.

An der Chris­to­pher Street ver­ließ Jesse die Sub­way. Am Him­mel zeig­te sich eine Wol­ken­lü­cke. Die Sonne ließ sich bli­cken. Der Wind hatte die Re­gen­wol­ken of­fen­bar weg­ge­pus­tet.

Mo­ment mal! Regen? Ver­dammt! Er hatte den Schirm in der U-Bahn lie­gen las­sen. Jesse är­ger­te sich über seine Nach­läs­sig­keit. Ver­schwen­dung war ihm ein Gräu­el.

Das Son­nen­licht blen­de­te ihn. Zum Glück hatte er seine Son­nen­bril­le immer dabei. Er kram­te sie aus sei­ner In­nen­ta­sche her­vor, setz­te sie auf und knöpf­te die Jeans­ja­cke zu. Auch wenn die Sonne sich zeig­te, war der Wind alles an­de­re als warm. Ein Blick auf die Na­vi­ga­ti­ons­funk­ti­on sei­nes Han­dys ge­nüg­te, um den Weg zu sei­ner Wi­der­sa­che­rin zu er­ken­nen. Jesse ging die Chris­to­pher Street ein Stück ent­lang und bog am Wa­ver­ly Place rechts ab. Die­ses Vier­tel sah gar nicht so aus wie das New York, das er aus dem Fern­se­hen und den Nach­rich­ten kann­te. Die Häu­ser aus rotem Back­stein mit den schmie­de­ei­ser­nen Bal­ko­nen und Feu­er­lei­tern an den Fas­sa­den waren ma­xi­mal sechs bis acht Stock­wer­ke hoch. Ge­ra­de­zu win­zig im Ver­gleich zu den Wol­ken­krat­zern im nörd­li­che­ren Man­hat­tan. Alles war hier etwas klei­ner, be­schau­li­cher, fa­mi­liä­rer. In­ter­es­siert schlen­der­te Jesse an den vie­len ori­gi­nel­len Läden vor­bei, an Re­stau­rants und Bars mit teil­wei­se deut­li­chem Gay-Touch. Da­zwi­schen ein Fri­seur­sa­lon, eine Buch­hand­lung und – er woll­te es kaum glau­ben – ein Schall­plat­ten­la­den! Und al­le­samt sahen sie so aus, als ob die Zeit im letz­ten Jahr­hun­dert ste­hen ge­blie­ben wäre. Bunt, schil­lernd und krea­tiv prä­sen­tier­te sich das Vier­tel, ein biss­chen wie die SoMa in San Fran­cis­co. Jesse fühl­te sich bei­na­he hei­misch. Er bog um die nächs­te Ecke in die Mac­dou­gal Street, wo das Deli der wi­der­spens­ti­gen alten Schach­tel lag, das er we­ni­ge Au­gen­bli­cke spä­ter er­reich­te.

Er blieb einen Mo­ment vor dem Schau­fens­ter ste­hen. Daisy’s Deli prang­te in ge­schwun­ge­nen Buch­sta­ben auf dem Schau­fens­ter – mit einem Gän­se­blüm­chen als i in Daisy. Dar­un­ter etwas klei­ner: de­li­cious food to ta­ke-out or sit-down – und schließ­lich der ver­hass­te Slo­gan: De­light, De­light­ful­ler, Daisy’s.

Das In­ne­re mach­te einen auf­ge­räum­ten Ein­druck, trotz der kit­schi­gen run­den Ti­sche auf der an­de­ren Seite des Schau­fens­ters, die eben­falls den Gän­se­blüm­chen-Look tru­gen. Die Be­sit­ze­rin hatte of­fen­bar ihren Namen zum Motto des Ge­schäfts ge­macht. Wie kin­disch! Um jeden Tisch waren vier Stüh­le ar­ran­giert, nur zwei Ti­sche waren be­setzt. Wei­ter hin­ten im Laden be­dien­te eine Ver­käu­fe­rin eine Kun­din, die sich an einer Theke mit Käse- und Wurst­spe­zia­li­tä­ten be­ra­ten ließ; eine zwei­te Ver­käu­fe­rin, eine at­trak­ti­ve Brü­net­te, stand hin­ter einer wei­te­ren Theke und sor­tier­te das Ge­bäck in der Vi­tri­ne. Der Laden schien nicht ge­ra­de eine Gold­gru­be zu sein. Es soll­te ein Leich­tes sein, die alte Schnep­fe davon zu über­zeu­gen, sein Geld zu neh­men und auf ihren Wahl­spruch zu ver­zich­ten. Al­ler­dings war von der Schnep­fe nichts zu sehen. Kein Pro­blem! Be­stimmt konn­te ihm eine der bei­den nied­li­chen Ver­käu­fe­rin­nen sagen, wo die In­ha­be­rin zu fin­den war. Jesse war be­reit. Er er­griff den Tür­knauf und be­trat den Laden. Die Schlacht konn­te be­gin­nen.

»Pro­bie­ren Sie un­se­re Fen­chel­sa­la­mi, Mrs. Cole­man. Sie ist mit Chi­an­ti ver­fei­nert. Ideal für Cros­ti­ni oder An­ti­pas­ti …«

Die Kun­din nahm die Kost­pro­be ent­ge­gen, Jesse wand­te sich der dun­kel­haa­ri­gen Ver­käu­fe­rin zu. Sie dreh­te ihm ge­ra­de den Rü­cken zu und holte Ba­gels und Do­nuts aus einem Korb. Jes­ses Blick fiel un­frei­wil­lig auf ihre schma­le Tail­le und den wohl­ge­form­ten Hin­tern. Nicht zu ver­ach­ten, die Klei­ne, dach­te er und fand seine Ge­dan­ken be­stä­tigt, als sie ihm ihre Vor­der­sei­te zu­wand­te. Lange brau­ne Haare um­schlos­sen ein ova­les Ge­sicht, aus dem zwei mee­res­blaue Augen her­aus­schau­ten, die leb­haft leuch­te­ten.

»Womit kann ich Ihnen hel­fen, Sir?«, klang eine me­lo­diö­se Stim­me aus dem herz­för­mi­gen Mund.

»Kann ich einen Kaf­fee be­kom­men?«

Er schob die Son­nen­bril­le über die Stirn ins Haar und be­trach­te­te sie ge­nau­er. Sein Blick glitt über den Aus­schnitt ihrer Bluse, aus dem der An­satz ihres De­kol­letés her­aus­schau­te. Rei­zend! Er be­merk­te, dass ihr Mund ein Stück auf­klapp­te. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lip­pen. Woll­te sie ihn an­ma­chen? Das war gar nicht nötig. Er fand sie auch so aus­ge­spro­chen an­zie­hend.

»Selbst­ver­ständ­lich … Sir«, ant­wor­te­te die lieb­li­che Stim­me, ihre Augen al­ler­dings starr­ten ihn an, als hätte sie einen Geist ge­se­hen. Sie stand wie fest­ge­wach­sen und be­weg­te sich kei­nen Zen­ti­me­ter vom Fleck.

»Ist alles in Ord­nung, Miss? Oder füh­len Sie sich nicht wohl?«, er­kun­dig­te er sich vor­sichts­hal­ber.

Sie schien seine Frage nicht ge­hört zu haben, denn sie ging nicht dar­auf ein.

Statt­des­sen sagte sie: »Sie … Sie … haben brau­ne Augen. Ha… ha… ha­sel­nuss­brau­ne Augen.«

Er lä­chel­te sie an. »Ist das ein Ver­bre­chen?«

Sie schüt­tel­te den Kopf. »Sie sind mein Traum …«, fuhr sie fort und lief rot an. »Ich meine … ich meine … ich habe von Ihnen ge­träumt. Also nicht so, aber … die Son­nen­bril­le. Und Sie. Im Traum … Ich habe davon ge­träumt. Ver­ste­hen Sie …?«

Je mehr sie sich ver­has­pel­te, umso brei­ter wurde sein Grin­sen. War sie nicht süß? Es war lange her, dass er eine Frau nur durch Blick­kon­takt so sehr aus dem Kon­zept ge­bracht hatte. Die ro­si­gen Wan­gen stan­den ihr üb­ri­gens aus­ge­zeich­net. Und wenn er sich nicht irrte, dann wäre es ein Kin­der­spiel, die klei­ne Maus für heute Abend ein­zu­la­den – und viel­leicht nähme die­ser Abend ja noch eine ganz an­de­re Wen­dung. Eine, zu der er – an­ge­sichts von Car­o­lyns ei­si­ger Zu­rück­hal­tung in der letz­ten Zeit – si­cher nicht Nein sagen würde. Ihm lief be­reits das Was­ser im Munde zu­sam­men, wenn er daran dach­te, wie es sich an­füh­len muss­te, ihre zwei­fels­oh­ne üp­pi­gen Brüs­te in den Hän­den zu hal­ten oder sich in ihren ent­zü­cken­den run­den Hin­tern zu kral­len, wäh­rend er tief in sie stieß und ihr be­zau­bern­der Kuss­mund Laute her­vor­brach­te, die sei­nen Schwanz ex­plo­die­ren las­sen wür­den.

»Ehr­lich ge­sagt, ich ver­ste­he kein Wort«, gab er zu. »Aber ich hätte nichts da­ge­gen, wenn Sie es mir er­klä­ren wür­den. Viel­leicht heute Abend? Beim Essen?«

»Beim Essen?«, wie­der­hol­te sie, als hätte sie ihn nicht rich­tig ver­stan­den. »Das … das geht nicht.«

»Warum denn nicht?«, in­sis­tier­te er. »Hat Ihre Che­fin Ihnen etwa ver­bo­ten, Ein­la­dun­gen von Kun­den an­zu­neh­men?«

Sie schüt­tel­te den Kopf. »Nein, Sir.«

»Ah, jetzt weiß ich: Sie haben einen Freund und der hat etwas da­ge­gen, wenn Sie mit frem­den Män­nern aus­ge­hen. Das ver­ste­he ich na­tür­lich.« Er beug­te sich ein Stück über die Theke zu ihr hin­über und flüs­ter­te: «Wenn ich er wäre, hätte ich auch etwas da­ge­gen.«

Sie wurde noch einen Tick roter und schüt­tel­te wie­der den Kopf. »Nein, das ist es nicht …«

»Nein? Kein Freund? Dann wüss­te ich nicht, was da­ge­gen spricht.« An der Art und Weise, wie sie ihn ansah, be­merk­te er, dass sie kurz davor war, Ja zu sagen. Um ihr den letz­ten Schubs in die rich­ti­ge Rich­tung zu ver­pas­sen, ent­schloss er sich zu einer Not­lü­ge. »Kom­men Sie. Geben Sie mir eine Chan­ce. Ich bin neu in der Stadt und kenne sonst nie­man­den. Leis­ten Sie mir an mei­nem ers­ten Abend in New York Ge­sell­schaft. Bitte!« Er fi­xier­te sie mit den Augen. »Wäre das wirk­lich so schlimm?«

»Nein.«

Sie wich sei­nem Blick aus, schau­te ihn dann aber wie­der an. Oh Mann! Die­ser Au­gen­auf­schlag! Was würde er dafür geben, wenn sie ihm dabei einen bla­sen würde!

»Aber … Sie kön­nen mich doch nicht ein­fach zum Essen ein­la­den. Ich kenne Sie doch über­haupt nicht.«

»Genau des­halb möch­te ich Sie ja ein­la­den. Um Sie ken­nen­zu­ler­nen. Und wis­sen Sie was? Wir fan­gen am bes­ten so­fort damit an.« Er streck­te ihr die Hand über den Tre­sen ent­ge­gen. »Ich bin Jesse. Jesse Ful­ler. Und wie hei­ßen Sie?«

Sie sah aus, als würde sie aus einem Traum er­wa­chen. Die blau­en Augen fun­kel­ten ihn an, die Pu­pil­len hat­ten sich zu klei­nen Punk­ten zu­sam­men­ge­zo­gen, die Stirn war ge­run­zelt.

»Mis­ter … Ful­ler«, wie­der­hol­te sie ton­los. »Jesse Ful­ler?«

»Ja, rich­tig.« Er hielt ihr immer noch die aus­ge­streck­te Hand hin. Was war denn auf ein­mal mit ihr los?

»Sie sind Jesse Ful­ler?«, frag­te sie mit einem schar­fen Un­ter­ton, jedes Wort dabei be­to­nend.

Ir­gend­et­was stimm­te hier nicht. Er zog die Hand zu­rück.

»Ja. Und ver­ra­ten Sie mir auch Ihren Namen?«

»Ra­chel«, sagte sie laut und deut­lich zu der Ver­käu­fe­rin am an­de­ren Ende der Theke, »weißt du, wer das ist?« Sie war­te­te Ra­chels Ant­wort nicht ab, son­dern fuhr fort: »Das ist Mr. Jesse Ful­ler aus San Fran­cis­co. Mr. Ful­ler, des­sen An­walt mir seit Mo­na­ten Brie­fe schreibt, in denen er be­haup­tet, unser Slo­gan schä­di­ge den Ruf von Mr. Ful­ler, und wir soll­ten uns des­halb einen an­de­ren über­le­gen.«

Er­staun­tes Ge­mur­mel er­klang hin­ter Jes­ses Rü­cken. Ver­wun­dert be­merk­te er, dass sich wäh­rend des Flirts mit der nied­li­chen Ver­käu­fe­rin eine Schlan­ge in dem Laden ge­bil­det hatte.

»Miss … Da Sie of­fen­bar gut in­for­miert sind, soll­ten wir nicht bes­ser in Ruhe …«

»Mrs. für Sie!«, un­ter­brach sie ihn. »Mrs. Ma­ri­no, um genau zu sein.«

»Mrs. … Ma­ri­no …« Er ver­schluck­te sich fast an dem Wort, dann – mit einer Se­kun­de Ver­zö­ge­rung – kam die In­for­ma­ti­on in sei­nem Hirn an. OH SHIT! »Sie sind Daisy Ma­ri­no? Die In­ha­be­rin?«

»Sehr rich­tig. Höchst­per­sön­lich, live und in Farbe. Und ich würde vor­schla­gen, dass Sie sagen, wes­halb Sie her­ge­kom­men sind, denn wie Sie sehen, habe ich Kun­den zu be­die­nen.«

Ver­dammt! Das mit dem Essen und dem Sex da­nach konn­te er wohl ab­ha­ken.

»Mrs. Ma­ri­no«, ver­such­te er, sie zu be­schwich­ti­gen, »soll­ten wir die An­ge­le­gen­heit nicht bes­ser in Ruhe in Ihrem Büro …«

»Mr. Ful­ler!«, un­ter­brach sie ihn un­ge­hal­ten. »Es tut mir leid, aber ich habe nicht so viel Zeit. Kom­men Sie lie­ber zur Sache. Also: Wes­halb sind Sie her­ge­kom­men?«

Es war so still im Ge­schäft, dass man den Flü­gel­schlag eines Schmet­ter­lings hätte hören kön­nen. Kei­ner der An­we­sen­den schien auch nur das Ge­rings­te von dem, was jetzt pas­sie­ren soll­te, ver­pas­sen zu wol­len. Jesse kam sich vor wie in einem Thril­ler, kurz vor dem Show­down. Er sah ein, dass ihm nicht viele Mög­lich­kei­ten blie­ben. Aber einen Trumpf hatte er noch im Ärmel. Oder bes­ser ge­sagt in der Ja­cken­ta­sche.

»Na schön. Meine For­de­rung ken­nen Sie. Ich blei­be dabei. Und viel­leicht …«, er zog den Um­schlag aus dem In­nen­fut­ter der Jacke, »hilft Ihnen das hier ja, Ihre Ent­schei­dung noch ein­mal zu über­den­ken.«

Sie nahm den Um­schlag mit einem spöt­ti­schen Blick ent­ge­gen, öff­ne­te ihn und holte den Scheck her­aus. Die Ver­än­de­rung ihres Ge­sichts­aus­drucks war eine Ge­nug­tu­ung für Jes­ses an­ge­kratz­tes Ego. Ihr Mund klapp­te auf, und die Augen fun­kel­ten und glänz­ten so sehr, dass er hätte schwö­ren kön­nen, darin Dol­lar­zei­chen zu er­ken­nen. Jeder hatte eben sei­nen Preis. Und Jesse hatte sein letz­tes An­ge­bot nicht nur leicht er­höht, son­dern er hatte es ver­dop­pelt. Ein­hun­dert­fünf­zig­tau­send Dol­lar. Eine ver­flucht hohe Summe. Mehr als er je zu bie­ten be­ab­sich­tigt hatte. Aber hier ging es ums Prin­zip – und um sei­nen Stolz. Der Blick in das Ge­sicht von Daisy Ma­ri­no war je­doch jeden Cent wert. Selbst ein Blin­der hätte er­kannt, dass Miss Zicke Ma­ri­no ins Wan­ken ge­riet und der Ver­su­chung des Gel­des nur noch schwer wi­der­ste­hen konn­te. Genau der rich­ti­ge Zeit­punkt, um ihr den letz­ten Stoß zu ver­pas­sen.

»Be­den­ken Sie, was Sie damit alles tun könn­ten«, raun­te er ihr ver­trau­ens­voll zu.

Sie schluck­te, nick­te kaum merk­lich. Of­fen­bar hatte es ihr die Spra­che ver­schla­gen.

Er setz­te noch einen drauf: »Viel­leicht die Er­fül­lung eines lang ge­heg­ten Wun­sches?«

Sie sah ihn mit gro­ßen Augen an. Bingo! Er hatte ins Schwar­ze ge­trof­fen. Ihre Lip­pen zit­ter­ten. Gleich würde sie Ja sagen.

»Das ist wirk­lich … sehr viel Geld«, sagte sie klein­laut. »Sehr, sehr viel Geld.«

Er spür­te, wie die Luft vor Span­nung knis­ter­te. Das ganze Lokal hielt den Atem an. Alle war­te­ten dar­auf, wel­che Ent­schei­dung sie tref­fen würde, als plötz­lich Un­ru­he in der Schlan­ge ent­stand.

»Lasst mich durch«, hörte Jesse eine krat­zi­ge, raue Stim­me vom an­de­ren Ende des Ge­schäfts. »Lasst mich doch mal durch.« Die Stim­me kam näher. »Was ist hier los, Miss Daisy? Wieso geht es nicht wei­ter? Die Leute wol­len be­dient wer­den.«

Jesse er­blick­te einen Mann, den er auf Mitte fünf­zig schätz­te. Er trug einen ver­schlis­se­nen Tweed­man­tel und eine ab­ge­wetz­te Jeans. Sein grau­es Haar war strub­be­lig und hing ihm ins Ge­sicht, der Bart war un­ge­pflegt und hatte eine Rasur mehr als nötig – und wenn sich seine Nase nicht täusch­te, dann könn­te der Typ neben ihm au­ßer­dem drin­gend ein Bad ver­tra­gen. Was hatte der Kerl hier ver­lo­ren? Und was fiel ihm ein, sich un­ge­fragt vor­zu­drän­geln und das Ge­spräch zu un­ter­bre­chen?

»Ich glau­be, das geht Sie nichts an«, sagte er be­stim­mend zu dem Grau­haa­ri­gen. »Ich führe hier ge­ra­de ein wich­ti­ges Ge­spräch mit Mrs. Ma­ri­no. Und …«

»Hat er Sie be­läs­tigt, Miss Daisy? Soll ich den Lack­af­fen raus­schmei­ßen?«, un­ter­brach ihn der Alte.

Lack­af­fe? Hatte der Pen­ner ihn Lack­af­fe ge­nannt? Jes­ses Puls schoss in die Höhe. Stün­de nicht so viel auf dem Spiel, würde er dem Kerl zei­gen, wo der Ham­mer hing. Er ball­te die Fäus­te zu­sam­men und press­te die Kie­fer ge­gen­ein­an­der. Noch ein Wort von dem stin­ken­den Un­ge­heu­er und er wäre am Ende sei­ner Ge­duld. Unter Auf­bie­tung aller Selbst­be­herr­schung straf­te er den Alten mit einem ver­ächt­li­chen Blick und wand­te sich wie­der der In­ha­be­rin zu.

»Ich glau­be, Sie woll­ten etwas sagen, bevor wir … un­ter­bro­chen wur­den. Also: Neh­men Sie mein An­ge­bot an?«

»Nun ja, ich muss sagen, es ist wirk­lich über­aus groß­zü­gig … mit so einer Summe könn­te ich …«

»Miss Daisy …«

Der Alte ver­such­te schon wie­der, sich da­zwi­schen­zu­drän­gen, doch die­ses Mal ließ Jesse sich von dem Penn­bru­der nicht aus­brem­sen: »Grei­fen Sie zu. Je eher Sie Ja sagen, umso schnel­ler sind Sie mich los und umso schnel­ler kön­nen Sie Ihre Kun­den be­die­nen.« Bei dem letz­ten Satz warf er einen ab­schät­zi­gen Blick auf den Mann neben sich und fügte leise mur­melnd hinzu: »Wobei man bei einem Pen­ner ja wohl schwer­lich von Kunde reden kann.«

Er hatte die Worte kaum aus­ge­spro­chen, als er be­merk­te, dass er einen Feh­ler ge­macht hatte. Mrs. Ma­ri­no be­dach­te ihn mit einem Blick, der ihn auf der Stel­le hätte tot um­fal­len las­sen, wenn das mög­lich ge­we­sen wäre.

»Wie haben Sie Henry ge­ra­de ge­nannt?«, frag­te sie mit einem schar­fen Un­ter­ton. »Henry ist kein Pen­ner, son­dern ob­dach­los. Und das ist er nicht ohne Grund. Dar­über hin­aus ist er mein Freund und Stamm­kun­de.«

Er woll­te etwas er­wi­dern, doch sie hatte sich der­art in Rage ge­re­det, dass sie nicht zu brem­sen war.

»Den­ken Sie etwa, Henry nimmt Al­mo­sen von mir an? Dazu ist er viel zu stolz. Er be­zahlt wie jeder an­de­re hier, und zwar mit Hilfs­be­reit­schaft. Eine Wäh­rung, die Ihnen ver­mut­lich un­be­kannt ist, Mr. Ful­ler. Sie den­ken wahr­schein­lich, dass Sie mit einem net­ten Lä­cheln und Geld alles kau­fen kön­nen. Wis­sen Sie was?« Sie we­del­te mit dem Scheck vor sei­ner Nase herum. »Ste­cken Sie sich Ihre Dol­lars sonst wo hin!« Sie zer­riss das Pa­pier vor den Augen aller An­we­sen­den in klei­ne Fet­zen und warf sie mit einer thea­tra­li­schen Hand­be­we­gung in die Luft. »Mich kön­nen Sie je­den­falls nicht kau­fen. Guten Tag, Mr. Ful­ler!«

Ein Joh­len und Pfei­fen setz­te in dem Ge­schäft ein, ei­ni­ge Kun­den ap­plau­dier­ten, viele lach­ten oder grins­ten. Jesse hatte ge­po­kert – und haus­hoch ver­lo­ren. Die Nie­der­la­ge war bit­ter. Er wuss­te, dass er nur einen Hauch vom Sieg ent­fernt ge­we­sen war. Wenn ihm nur die­ser ver­damm­te Pen­ner nicht da­zwi­schen­ge­funkt hätte … Statt­des­sen hatte die Klei­ne ihn ge­de­mü­tigt. Ihn. Jesse Ful­ler. Und oben­drein vor allen Leu­ten! Wenn sie glaub­te, dass damit das letz­te Wort ge­spro­chen war, irrte sie sich ge­wal­tig.

»Das wird Ihnen noch leid­tun«, sagte er fros­tig und ver­ließ mit er­ho­be­nem Haupt das Ge­schäft.