Inhaltsangabe
Lily
Mein Leben ist ruhig. Geordnet. Sicher. Bis zu dem Tag, an dem alles aus den Fugen gerät.
Nach zehn Jahren steht er plötzlich wieder vor mir: Jackson Hayes. Der Mann, den ich nie vergessen konnte. Der Junge, der mich in meiner Jugend beschützte und mich gleichzeitig keines Blickes würdigte. Bis zu jener unvergesslichen Nacht, die mir alles bedeutete – und ihm scheinbar nichts, denn danach verschwand er einfach wortlos. Ohne eine Erklärung.
Heute erkenne ich ihn kaum wieder. Muskeln, Tattoos, ein schweres Motorrad – er ist Teil einer Welt, die mir völlig fremd ist. Und trotzdem fühlt sich seine Nähe wie das Einzige an, was mir noch Sicherheit gibt.
All die Jahre habe ich mich gefragt, warum Jackson damals gegangen ist. Doch jetzt gibt es eine viel wichtigere Frage: Was passiert, wenn er dieses Mal bleibt?
Jackson
Schmutzige Aufträge erledigen, die niemand sonst übernehmen will … Das ist genau unser Ding beim Devil’s Wheels MC.
Das weiß auch Dr. Bennett, als er uns bittet, seine Tochter Lily aus den Händen skrupelloser Entführer zu befreien. Normalerweise ein Routineauftrag. Wäre Lily für mich nicht schon immer mehr gewesen als nur das Mädchen von nebenan. Sie ist die Frau, die ich selbst während meiner gefährlichsten Kriegseinsätze nie aus dem Kopf bekommen konnte. Und genau das macht diesen Job verdammt kompliziert.
Also versuche ich, Abstand zu halten und ihrer verlockenden Anwesenheit zu widerstehen, doch die Albträume, die uns beide quälen, bringen uns mit jeder Nacht einander näher.
Ich würde alles tun, um sie zu beschützen, doch das könnte auch meine Clubbrüder in tödliche Gefahr bringen. Denn ich bin nicht der Einzige, der sie aus der Ferne beobachtet. Die Dunkelheit lauert näher, als wir ahnen …
Bist du bereit für eine wilde Fahrt voller Action und Leidenschaft? Tauche ein in die Welt des Devil’s Wheels MC, wo Liebe auf dem Spiel steht und Gefahr an jeder Ecke lauert. Für alle Fans von heißer Motorrad-Romantik!
Leseprobe
Lily
Jeder Zentimeter meines Körpers schmerzt höllisch. Meine Arme sind noch immer hinter meinem Rücken gefesselt, meine Beine in einer unbequemen Position fixiert. Die Seile schneiden so tief in meine Haut, dass es sich anfühlt, als würden sie meine Nerven durchtrennen.
Ich wage es nicht, mich zu bewegen oder die Augen zu öffnen – nicht, dass es einen Unterschied machen würde. Die Augenbinde hüllt mich ohnehin in Dunkelheit und die muffige, stickige Luft um mich herum wirkt nicht weniger bedrückend.
Längst habe ich das Gefühl für Zeit verloren. Minuten, Stunden, vielleicht sogar Tage sind verstrichen. Alles verschwimmt in einem endlosen Schmerz und der erdrückenden Stille um mich herum.
Anfangs habe ich noch geschrien, habe mich gegen meine Fesseln gewehrt, habe meinen Peiniger, den Narbigen, mit sämtlichen Beleidigungen verflucht, die mir einfielen. Doch das Einzige, was ich damit erreicht habe, war sein höhnisches Lachen – bis er irgendwann genug von meinem Widerstand hatte. Ich hörte, wie sein Nacken knackte, als er sich zu mir hinunterbeugte und den Kopf schief legte. Dann hat er leise geknurrt: „Halt endlich das Maul.“ Seine Stimme war tief und bedrohlich, wie das Grollen eines Gewitters.
Ich habe nicht gehorcht, natürlich nicht. Ich habe ihn weiter angeschrien, versucht, nach ihm zu treten, doch die Fesseln ließen nicht viel Bewegung zu.
Plötzlich spürte ich seine Hand, schwer und hart, wie ein Schraubstock, der meinen Kiefer umfasste. Mein Kopf wurde nach oben gezwungen, und obwohl ich ihn nicht sehen konnte, fühlte ich seinen kalten Blick auf mir brennen. Dann kam das Tape zurück und meine Schreie wurden wieder zu dumpfen Lauten, die niemand hören würde.
Ich weiß nicht, wann er gegangen ist, aber irgendwann wurde es still.
Plötzlich höre ich, wie sich die Tür erneut öffnet und wieder schließt. Die Luft im Raum verändert sich augenblicklich – sie wirkt schwerer, fast giftig. Ich kann ihn nicht sehen, aber ich fühle ihn. Sein Blick bohrt sich durch die Dunkelheit, und ich habe das Gefühl, von einer Schlange beobachtet zu werden, die darauf wartet, zuzuschlagen.
Dann höre ich es. Sein Lachen. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Es ist viel zu hoch, fast brüchig, ein widerlicher Kontrast zu der rauen Bedrohung des Narbigen. Dieses Geräusch kriecht mir unter die Haut, wickelt sich um mein Herz und drückt es zusammen. Es ist grausam und quälend zugleich. Ich beginne zu zittern, ohne etwas dagegen tun zu können.
„Es ist keine Rettung für dich in Sicht“, flüstert der Kleine, sein Atem ist heiß an meinem Ohr. „Du bist allein. Du bedeutest nichts.“ Seine Worte sind leise, fast ein Wispern, und doch hallen sie wie Hammerschläge in meinem Kopf wider.
Ich schließe die Augen unter der Binde, obwohl es nichts nützt. Seine Stimme sickert in meinen Verstand, kriecht durch die Risse in meiner Entschlossenheit.
„Lass mich in Ruhe“, will ich ihm entgegenwerfen, doch das Tape auf meinem Mund erstickt meine Worte zu einem dumpfen Laut.
„Wie war das? Was hast du gesagt?“ Seine Stimme ist spielerisch, aber voller Wahnsinn. Kurz darauf spüre ich, wie seine kalten, schmalen Finger über mein Gesicht gleiten, fast schon sanft, dennoch drehe ich den Kopf angewidert zur Seite.
„Vielleicht sollte ich das Tape abreißen?“ Er kichert leise. „Aber nur, wenn du ganz brav Bitte sagst.“
Ich zucke zusammen, als ich spüre, wie er leicht an dem Rand des Klebebands zieht, gerade genug, um mich den Schmerz spüren zu lassen. Mein Herz rast, aber ich bleibe stumm.
„Nicht? Ich dachte, du bist eine Kämpferin?“
Tränen brennen hinter meinen geschlossenen Lidern, aber ich presse sie zurück. Ich weiß, dass er das genießt – meine Angst, meine Schwäche.
„Vor dir saßen schon viele Frauen auf genau diesem Stuhl.“ Ich höre das Schaben seiner Schuhe auf dem Boden, bevor ich seinen Atem wieder an meiner Wange spüre. „Ich habe jeden einzelnen Schrei genossen. Aber weißt du, was ich am meisten daran liebe?“
Ich zucke zurück, als ich bemerke, wie er neben mir in die Hocke geht. Seine kalten Finger berühren meinen Arm, gleiten wie ein Kriechtier meine Haut entlang.
„Den Moment, wenn sie aufhören zu kämpfen“, flüstert er. „Wenn sie kapieren, dass alles, was sie tun, sinnlos ist, denn es bedeutet, dass sie endlich mir gehören.“
Er legt eine Hand an meine Wange und der Drang, mich zu übergeben, wird beinahe übermächtig.
„Du brauchst nicht zu weinen“, sagt er und lacht wieder, dieses Mal leiser, aber nicht weniger grässlich. „Es wird bald alles vorbei sein. Vielleicht sogar schneller, als du denkst. Aber bis dahin werden wir noch viel Spaß haben.“ Ein weiteres Mal reißt er am Tape, diesmal fester, und mein Kopf zuckt unwillkürlich nach hinten. Es ist, als würde er testen, wie weit er gehen kann.
Mein Herz rast, und ich beiße die Zähne zusammen, um nicht noch mehr von meiner Angst preiszugeben. Doch sein Lachen zeigt mir, dass es längst zu spät ist. Er weiß es. Und er genießt es.
„Ich hoffe, du enttäuschst mich nicht“, sagt er schließlich. „Ich hasse es, wenn sie zu schnell brechen.“
Seine Schritte entfernen sich, aber ich weiß, dass er noch da ist. Wartend und lauernd.
Die Stille ist wieder alles, was mich umgibt, aber diesmal ist sie erfüllt von seinem Wahnsinn, seiner Grausamkeit. Und während mein Körper schmerzt und mein Verstand gegen die Verzweiflung kämpft, graben sich seine Worte wie giftige Wurzeln in meinen Geist und die einsame Dunkelheit droht mich auch innerlich zu verschlingen.
Niemand wird mich retten kommen.
Jackson
Finn hat unsere Vermutung bestätigt: Diese dreckigen Wichser vom Satan’s Snakes MC stecken dahinter. Zum Glück halten sie Lily in einer Scheune außerhalb von Dixon fest, sodass wir den Krieg nicht direkt in ihrem Hauptquartier anzetteln müssen. Und Krieg wird es geben – das ist sicher. Heute halte ich mich definitiv nicht zurück, auch wenn wir normalerweise Konflikte mit anderen Clubs vermeiden. Pech für die Snakes, dass sie sich mit den Falschen angelegt haben.
Jeff ist wenig begeistert, dass diese Rettungsaktion in einem offenen Krieg enden könnte, aber für mich gibt es kein Zurück mehr. Ihr Club mag größer sein, aber unsere Männer sind nicht nur besser ausgewählt, sondern auch besser ausgebildet. Wir bestehen nicht aus einer Horde von Prospects, die vermutlich sogar blöd genug sind, sich beim Scheißen selbst in den Fuß zu schießen, und die beim kleinsten Grund blind um sich schlagen, ohne den Verstand einzusetzen. Sie brauchen nur einen Vorwand, um rohe Gewalt anzuwenden. Solche sinnlosen Aktionen haben wir nie unterstützt. Jeff hat von Anfang an darauf geachtet, dass unser Club sich auf halbwegs legale Geschäfte konzentriert. Klar, nicht alles läuft ganz legal, denn wir wurden noch nie offiziell von der Regierung beauftragt – auch wenn die Sesselfurzer im Anzug schon oft genug unsere Gehaltsschecks gezahlt haben.
Viele von uns sind in ihren alten Jobs angeeckt oder haben es einfach satt, für selbstgerechte Idioten zu arbeiten, die sich für etwas Besseres halten und sich nie die Hände schmutzig machen. Jetzt erledigen wir die Dinge nach unseren eigenen Regeln, nehmen nur Aufträge an, die zu unseren moralischen Werten passen, und Jeff sorgt dafür, dass unsere Kassen gut gefüllt sind. Die, die uns beauftragen, interessiert nur das Ergebnis. Während sie in ihren Büros darüber diskutieren, wie sie das Ergebnis schönreden können, übernehmen wir die Drecksarbeit, kassieren das Geld und scheißen darauf, was politisch gut aussehen könnte.
Genau wie jetzt, wo Marcus uns angeheuert hat, weil die Regierung abwarten und diskutieren will, ob sie auf die Forderungen der Entführer eingeht, während das Leben seiner einzigen Tochter auf dem Spiel steht. Kein Wunder, dass er heimlich zu uns gekommen ist. Bevor die da oben auch nur anfangen, etwas zu unternehmen, ist Lily bereits … Kurz gesagt: Das Leben von Lily ist ihnen nicht so wichtig wie das Unterverschlusshalten von 10 000 mutierten Super-Hanfpflanzen, die der Regierung oder der Pharmaindustrie vermutlich einen Arsch voll Geld einbringen werden.
Fuck! Genau das ist der Grund, warum ich den Dienst beim Militär quittiert habe. Denen ist doch egal, wie viele Soldaten da draußen draufgehen, wichtig ist nur Geld, die beste Position auf dem globalen Markt und politischer Status. Ein Leben ist für die nichts wert.
Letztlich brauchte es nicht viel Überzeugungskraft von Riley und mir, um Jeff von der Rettungsaktion zu überzeugen – selbst als klar wurde, dass wir uns dabei mit den Snakes anlegen müssen. Am Ende hat er von uns allen das weichste Herz, und für ihn ist immer noch die wichtigste Regel unserer Verbindung: „Familie geht über alles.“
Für Riley gehört Lily definitiv zur Familie, das hat er mehr als deutlich gemacht. Ich kann mir das Recht leider nicht herausnehmen. Dafür scheine ich ihr nicht wichtig genug zu sein. Aber wie sie über mich denkt, spielt keine Rolle. Hauptsache ist, sie spätestens in einer halben Stunde wieder in Sicherheit zu wissen.
Van gibt für Riley von der Spitze aus das Zeichen, abzubiegen. Er fährt den Truck an zweiter Stelle in unserem Konvoi. Wir anderen bleiben auf unserer Position. Da wir keine Ahnung haben, in welchem Zustand Lily sein wird und ob sie fähig wäre, auf einem Bike zu sitzen, war mein viertüriger Pick-up die erste Wahl, um sie im Anschluss an die Rettungsaktion sicher nach Hause zu bringen. Außerdem ist er leiser als unsere Bikes, und Riley muss im Gegensatz zu uns unbemerkt in den Unterschlupf der Entführer vordringen können. Wir senken das Tempo auf Vans Befehl hin, um Riley genügend Vorsprung zu lassen.
Wenn die Gegner in der Unterzahl sind, folgt unser Vorgehen bei Rettungsaktionen einem bewährten Muster: Die Meute stürmt frontal das Gebäude, setzt alle Gegner außer Gefecht und sichert die Zielperson. Finn hat herausfinden können, dass Lily in der Scheune festgehalten werden soll, bis die Übergabe der Forderungen erfolgt ist. Nur etwa zwanzig Männer bewachen sie – also nichts, was wir nicht mit genügend Leuten stemmen können. Wir sind mehr als genug, um nach unserem üblichen Plan vorzugehen und die paar abgestellten Snakes kaltzumachen.
Aber unser Sicherheitsanker ist unser Scharfschütze. Riley. Er positioniert sich an anderer Stelle, um aus der Ferne zu agieren, falls es notwendig wird.
Ich sitze hinter Finn auf dem Bike. Ich hasse es, wenn wir kuscheln müssen, aber ich will auf der Rückfahrt auf jeden Fall im Truck sitzen. Nicht am Steuer, sondern auf der Rückbank bei Lily, um für eine Erstversorgung möglicher Verletzungen da zu sein. Also muss mich einer meiner Brüder mitnehmen.
Wir halten vor der Scheune und geben uns dabei keine Mühe, leise zu sein. Sie sollen wissen, dass ihre letzte Stunde geschlagen hat.
Vor dem Scheunentor hält mich Jeff an der Schulter zurück. Er lässt die anderen Jungs an uns vorbeiziehen und das Gebäude stürmen. Zu unseren Füßen liegen bereits zwei reglose Prospects, die den Eingang bewacht haben. „Kann ich dich reinlassen? Bist du fokussiert genug oder eine unkonzentrierte Gefahr für deine Brüder?“
„Ich krieg das hin.“
Jeffs Hand wandert zu meinem Rücken, und er gibt mir einen Schubs hinein in das Gebäude.
Um uns herum tobt das Chaos: wildes Gerangel, Schmerzensschreie und eine Menge Blut spritzt. Aber ich blende alles aus und konzentriere mich nur darauf, Lily zu finden. Während ich die Scheune durchquere und nach ihr absuche, reihen sich Van und Finn hinter mir ein, um mir den Rücken freizuhalten.
Am anderen Ende der Scheune finden wir sie. An die Rückwand gelehnt, sitzt Lily leblos auf einem Stuhl. Ihre Hände sind gefesselt und ihr Kopf nach vorn gesunken. Ein Mitglied der Snakes, das ich noch nie zuvor gesehen habe, hält sie an den Schultern fest, um zu verhindern, dass sie vom Stuhl rutscht. Sie ist bewusstlos, was heute wie ein Segen ist. So bekommt sie die Schreie der Snakes nicht mit, auch wenn die Geräuschkulisse bereits leiser wird. Ich muss mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass unsere Jungs die Oberhand haben.
Als der Mistkerl ein Messer an Lilys Kehle drückt, hebe ich meine Waffe und richte sie direkt auf den Kopf des Bastards, denn den Rest seines Körpers versteckt er geschickt hinter Lily.
Finn richtet seine Waffe ebenso auf ihn. „Scheiße, dass der Typ so klein ist. Wir können nur auf seine hässliche Visage zielen und nicht auf seinen fetten Schwabbelbauch“, flucht er vor sich hin, den Blick fest auf den Gegner gerichtet.
Van und ich knurren zustimmend. Die Beleidigung Schwabbelbauch stammt definitiv aus Harpers Wortschatz.
„Ihr habt einen gewaltigen Fehler gemacht, hier aufzutauchen!“, brüllt der Mini-Biker zu uns rüber, wobei seine Stimme mehrmals bricht, was ihn weniger bedrohlich erscheinen lässt.
„Ist der Idiot noch im Stimmbruch?“, kann sich Finn nicht verkneifen, während Van und ich fokussiert bleiben, damit uns keine Bewegung von Schwabbel entgeht.
Plötzlich klingelt mein Handy. Das vereinbarte Signal, sobald Riley seine Position eingenommen hat. Das Einzige, was mich an der Tatsache nervt, ist der Klingelton meines Handys. Ausgerechnet Holding Out for a Hero von Bonnie Tyler.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen sehe ich kurz zu Finn. Ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich ihn erneut als einen der besten Hacker im Land bezeichne – egal, was er selbst von sich hält.
„Sorry, er hat mich gezwungen, dein Handy zu hacken und den Klingelton zu überschreiben“, verteidigt er sich mit einem Grinsen.
Riley und seine dämliche Gewinner-Playlist. Dass er für diesen Unsinn noch Nerven hatte, bei dem, was für uns auf dem Spiel steht, ist beinahe schon wieder beeindruckend.
Van stöhnt. „Vermutlich hast du anderthalb Stunden für den Scheiß gebraucht und nur eine halbe Stunde, um das lächerliche Versteck dieser Idioten ausfindig zu machen.“
Finn löst eine Hand von seiner Waffe und hebt sie triumphierend in die Luft. „Jawohl, Bruder.“ Über meinem Kopf schlagen er und Van ein. Wie immer steht Van auf der Seite dieser Spaßvögel.
Auch hinter mir höre ich zustimmendes Glucksen und ein paar der Jungs beginnen sogar, den Song mitzusummen.
„Wollt ihr mich verarschen?“, nimmt mir Piepsstimmchen mit hochrotem Kopf die Worte aus dem Mund. Mit der freien Hand drücke ich Rileys Anruf weg, während ich im Augenwinkel sehe, wie Jeff sich neben mir positioniert und den linken Arm hebt. Ein stilles Signal. Sofort verstummen unsere Brüder. Finn und Van ziehen sich ein paar Schritte zurück. Jetzt stehen nur noch Jeff und ich an der Spitze. Manchmal glaube ich wirklich, dass wir zwei die Einzigen mit klarem Verstand sind.
„Das ist nicht witzig!“, stimme ich dem Snakes-Arschloch zu, obwohl der Hass ihm gegenüber in mir brodelt. Auch wenn ich unsere Jungs verstehen kann, dass sie sich bereits in Siegesstimmung befinden, versuche ich, mich nicht von dieser falschen Sicherheit ablenken zu lassen. Es ist noch nicht überstanden, und ich habe zu oft erlebt, wie schnell sich das Blatt wenden kann, um jetzt leichtfertig zu werden.
„Mit eurem Eingreifen habt ihr soeben Plan B unseres Auftraggebers aktiviert“, höhnt der Typ und schnappt sich einen Eimer Wasser. Ohne zu zögern, kippt er das Wasser über Lily.
Japsend kommt sie zur Besinnung. Ihr Mund ist mit silbernem Klebeband verschlossen, und nur undeutliche Laute dringen zu uns durch. Ihre Augen sind mit einem dreckigen Tuch verdeckt, sodass sie nicht mitbekommt, was um sie herum geschieht. Doch das ändert sich schnell, als der Wichser nach einer Kurbel an der Wand greift, und beginnt, sie langsam zu drehen.
Mein Blick folgt sofort dem Seil, das über einen Flaschenzug läuft und direkt zu Lily führt. Verdammt! Es ist um ihren Hals gewickelt, und mit jeder Umdrehung zieht es sich enger um ihre Kehle. Was hat dieser kranke Wichser sich da ausgedacht?
Lily beginnt, sich zu winden, sie steht nun auf ihren wackeligen Beinen, während sich das Seil unerbittlich weiter verkürzt.
Mit langsamen, vorsichtigen Schritten nähere ich mich dem Kerl, jede Bewegung genau kalkuliert. Doch bevor ich ihn auch nur annähernd ins Visier bekomme, greift er plötzlich nach hinten und zieht einen Elektroschocker aus seiner Gesäßtasche. Die metallischen Elektroden funkeln bedrohlich im schummrigen Licht.
„Ah, ah, ah! Keinen Schritt weiter“, sagt er in meine Richtung und hebt den Elektroschocker drohend an Lilys Körper. „Ihr wollt doch den großen Showdown nicht verderben, oder?“ Er grinst selbstgefällig und lässt den Elektroschocker knisternd aufblitzen. An seinem verrückten Blick erkenne ich, wie der bloße Gedanke, ihr Schmerzen zuzufügen, in ihm eine krankhafte Erregung weckt.
Wut und Hilflosigkeit steigen in mir auf, während der Dreckskerl unerbittlich weiterkurbelt. Mein Blick fällt auf Lily. Die nasse Kleidung klebt an ihrem Körper, jeder Muskel angespannt, während sie nur noch mit den Zehenspitzen Halt auf dem wackeligen Stuhl findet. Der Anblick, wie sie um ihr Leben kämpft, lässt das Blut in den Adern gefrieren. Ihr Gesicht ist schmerzverzerrt, der Strick schneidet sich immer tiefer in ihre Haut.
Die ganze Zeit über bleibt der Bastard hinter ihr versteckt, immer noch zu feige, um aus seiner Deckung hervorzukommen. Er stellt seinen Fuß provokativ gegen den Stuhl, bereit, ihn jeden Moment umzustoßen.
Wenn wir jetzt das Feuer eröffnen, wird er mit Sicherheit den Stuhl zur Seite stoßen, und dann hängt Lily. Selbst wenn ihr Genick nicht bricht, werden die Grausamkeiten dieses Schweins verheerend genug sein. Und ich will unter keinen Umständen, dass sie noch mehr leiden muss.
Ich fluche leise, bin ratlos, was ich tun soll.
Fuck, warum lebt der Scheißkerl noch? Das kann nur bedeuten, dass Riley ebenfalls kein freies Schussfeld hat.
Ich muss schnellstens die Aufmerksamkeit des Wichsers auf mich lenken, und ihn irgendwie dazu bringen, seine Deckung aufzugeben.
„Und wie sieht euer brillanter Plan B aus?“, frage ich den Mistkerl provozierend. Diese Art von Typen labert doch immer gern über ihre kranken Pläne, bevor sie sie in die Tat umsetzen.
Er beginnt zu lachen. Aufgrund seiner eigenartigen, brüchigen Stimme klingt er dabei wie ein Psychopath. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken.
„Die Trauer des Vaters auslösen!“, brüllt er schließlich durch die Scheune. Sein Gesicht ist vor irrem Vergnügen verzerrt. „Ihr habt verloren, ihr Wheels-Wichser.“
Dann trifft mich sein verrückter Blick direkt, und ich kann es in seinen Augen lesen: Seine Entscheidung ist längst gefallen. Reden hilft nichts mehr.
Bevor ich auch nur reagieren kann, stößt er den Stuhl um. Adrenalin schießt durch meinen Körper, und ich stürme vor, aber ich weiß bereits, dass es zu spät ist. Ich werde nicht rechtzeitig bei ihr sein, werde ein weiteres Mal zu spät sein. Lily wird hängen … und ich werde versagt haben, sie zu beschützen.
Als ich sie erreiche, falle ich auf die Knie … mit Lily in den Armen. Fassungslos starre ich ihren reglosen Körper auf meinem Schoß an, bevor mein Blick nach oben wandert. An der Decke schwingt ein Teil des abgetrennten Seils träge hin und her. Der Rest davon liegt noch immer um Lilys Hals. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Wie …?
Neben mir sinkt der wabbelige Körper dieses Snakes-Bastards zu Boden. Zwischen seinen Augenbrauen klafft ein dunkles Loch und ein kleiner Jackson Pollock aus Blut und Hirnmasse ziert nun die Wand hinter ihm.
Mit zitternden Fingern taste ich nach Lilys Puls an ihrem Hals. Ich atme auf, als ich ihn endlich finde. Schwach, aber regelmäßig. Gott sei Dank. Sie lebt. Es fühlt sich an, als würde die Erleichterung jegliche verbliebene Kraft aus meinem Körper verdrängen wollen. Aber ich kann mir keine Pause erlauben. Noch nicht. Erst muss ich sie nach Hause bringen – jedoch nicht zu ihren Eltern. Nicht, solange das Schwein, das die Snakes angeheuert hat, noch frei herumläuft. Sie wird bei mir bleiben, und ich lasse sie keine Sekunde mehr aus den Augen.
„Zwei verdammt gute Schüsse, Hunter“, sagt Jeff hinter mir.
Kurz darauf tritt mir jemand mit dem Fuß leicht gegen den Rücken. Riley. „Jetzt bist du dran, Bro. Versorg ihre Wunden oder check sie durch. Was man halt so als Doc machen sollte, statt faul rumzuhocken.“ Er dreht sich sofort wieder um und lässt sich von unseren Brüdern feiern. Doch der eine Augenblick, in dem wir uns angesehen haben, reicht aus, um zu wissen, dass er genau wie ich eine Heidenangst hatte. Und er wird Lily nicht ansehen, bevor ich ihm nicht gesagt habe, dass sie in Ordnung ist. Seine übliche Verdrängungstaktik.
Langsam stehe ich auf und hebe Lily vorsichtig auf meine Arme. Sie wirkt so zerbrechlich in diesem Moment. Während ich mich nur auf sie konzentriere, höre ich im Hintergrund, wie die Jungs beginnen, das Chaos zu beseitigen. Auch dafür haben wir Spezialisten im Club, die von ihren ehemaligen Arbeitgebern darin ausgebildet worden waren, Spuren so sauber verschwinden zu lassen, dass kein Krümel zurückbleibt, der zu uns führen könnte.
Noch bevor ich die Scheune verlasse, höre ich Jeff neue Befehle geben: „Lasst alles so, wie es ist. Ich bin gespannt, wie lange die Dreckskerle von den Snakes brauchen, um das Gemetzel mit uns in Verbindung zu bringen … Und dann werden wir sie mit offenen Armen empfangen und jeden von ihnen für die Scheiße, die sie hier abgezogen haben, büßen lassen. Entweder, weil sie leblos zu unseren Füßen liegen oder weil sie uns um Gnade anflehen.“
Vollkommen richtig. Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus. Ihr habt euch mit der falschen Familie angelegt.
Als ich den Truck erreiche, erwartet mich schon eine offene Tür, und ich kann Lily direkt auf die hinteren Sitze legen. Van holt bereits meine Notfalltasche vom Beifahrersitz.
„Ich sage Finn und Hunter, dass sie so einen Schwachsinn zukünftig nicht mehr während eines Einsatzes abziehen sollen.“
Nickend nehme ich ihm die Tasche ab, und er zieht sich sofort zurück. Er weiß genau, dass er Mist gebaut hat, weil er Finns Blödsinn auch noch unterstützt hat. Heute Abend war es verdammt knapp. Wir hätten uns alle nicht ablenken lassen dürfen, geschweige denn den Feind auch noch provozieren sollen.
Meine Untersuchung fällt kurz aus, nicht nur aus Zeitdruck, sondern weil mich plötzlich ein Anflug von Scham überkommt. Lilys Körper hat sich seit unserer letzten Begegnung noch mal mehr verändert. Sie war schon damals nicht mehr das Mädchen gewesen, das wegen ihres Babyspecks aufgezogen worden war. Und doch sieht sie heute noch weiblicher aus, jede ihrer Kurven ist perfekt geformt. Alles an ihr strahlt eine unbestreitbare Anziehungskraft auf mich aus. Sie ist so verdammt sexy, dass mir sofort unangebrachte Gedanken durch den Kopf schießen, die sich nur schwer verdrängen lassen.
Erst als ich ihr die dunklen, zerzausten Haare aus ihrem blassen Gesicht streiche, wird mir der Ernst der Lage wieder bewusst.
Für eine gründliche Untersuchung müsste ich sie entkleiden, aber ich befürchte, wenn ich das tue, würde mein Verstand von weitaus unanständigeren Bildern überrannt. Fuck, ein gewisser schamloser Teil meines Körpers reagiert bereits. Um zu meiner professionellen Haltung zurückzukehren, entscheide ich, dass ihre Kleidung bleibt, wo sie ist. Stattdessen beschränke ich mich auf das Offensichtliche: Sie ist dehydriert, ihre Lippen rissig. Sie muss mehr als einen Tag kein Wasser bekommen haben. Die Stellen, an denen sie gefesselt war, sind blutig aufgescheuert. Der kleine Wirbelwind muss sich ganz schön gewehrt haben. Als ich vorsichtig ihren Kopf abtaste, spüre ich mehrere große Beulen. Die Wut kocht in mir hoch. Es fällt mir schwer, nicht wieder in die Scheune zu stürmen und Schwabbel eine weitere Kugel zu verpassen. Er muss Hand angelegt haben, um sie ruhigzustellen.
Unabhängig davon, dass solch eine Aktion sinnbefreit wäre, wirft sich Riley in diesem Moment auf den Fahrersitz und startet den Motor. „Dann lass uns mal nach Hause fahren und das Gästezimmer vorbereiten.“
Ich grinse ihm zu. Vermutlich hat Jeff ihm bereits mitgeteilt, dass der eigentliche Drahtzieher noch frei herumläuft. Riley scheint wie ich nicht bereit zu sein, Lily so schnell wieder aus den Augen zu lassen.
Ich setze mich auf die Rückbank und lege Lilys Kopf sanft auf meinem Schoß.
Während Riley langsam über den Schotterweg fährt, um zurück auf den Highway zu kommen, reiht sich Van vor uns ein. Hinter uns ertönt das vertraute Röhren unserer Brüder auf ihren Bikes, die uns nach Hause begleiten.
Als Riley nach einigen Kilometern immer noch völlig verkrampft das Lenkrad umgreift, beuge ich mich vor und lege meine Hand auf seine Schulter. „Es ist alles gut gegangen. Wir werden dafür sorgen, dass ihr nichts mehr passiert.“
„Wer auch immer dafür verantwortlich ist, wird …“
„Er wird dafür bezahlen, das verspreche ich dir. Also entspann dich mal wieder.“
Sein Kiefer ist noch immer angespannt, als er nickt. Es ist ein Wunder, dass ich das Mahlen seiner Zähne nicht höre.
„Du hast recht“, sagt er schließlich, aber die Wut in seinen Augen bleibt unverändert. „Es ist Zeit für …“ Rileys Hand wandert zum Radio, wo bereits sein USB-Stick in Form von Captain America steckt.
Bitte nicht seine Gewinner-Playlist, bete ich innerlich. Warum habe ich nur gesagt, er soll sich entspannen? Ich beneide die anderen Jungs auf ihren Bikes, die lediglich den Fahrtwind in den Ohren hören. Doch dann schaue ich auf Lily und streiche vorsichtig mit den Fingerspitzen durch ihr Haar. Okay, es ist nicht ganz so übel, hier zu sein.